Die Liebeslist
als sonst. Gegen Mittag befand er, dass es seinen Männern gut erging. Auch an den vom Earl of Salisbury vorgenommenen Umbauten der Burg hatte er nichts auszusetzen, selbst wenn die Festung mit ihren Holzpalisaden sicherlich nicht zu den wehrhaftesten zählte. Um aber die steinerne, mit Mauern und Türmen bewehrte Hauptburg einzunehmen, gebaut auf einem felsigen, steil zum Fluss abfallenden Hügel, musste ein potenzieller Feind schon mit einer höchst schlagkräftigen und zu allem entschlossenen Streitmacht anrücken. Nachdenklich betrachtete Gervase den in einiger Entfernung stehenden Burgwehrhauptmann. Dieser von Longspey eingesetzte Sir Thomas de Byton gefiel ihm zwar nicht, dennoch war der Mann ein fähiger Soldat, der Befehle unverzüglich ausführte. Zweifellos war er auch einer, der sich lieber einem Mann als einer Frau unterordnete. Gervase runzelte nachdenklich die Stirn. Vielleicht würde der Mann ihn in seinem Vorhaben unterstützen! Als schließlich die spärliche Wintersonne mühsam den mittäglichen Zenit erklomm, betraten Gervase und seine Mannen zum Mittagsmahl den Burgsaal. Die eilig im Dorf rekrutierte Dienstmagd war nicht müßig gewesen. Der Duft von knusprigem Braten und frischem Brot durchzog bereits den Burghof. Tischplatten auf Böcken waren aufgestellt, und Gervases Männer nahmen dicht gedrängt auf den Bänken Platz. Fitz Osbern selbst begab sich in Begleitung von Hugh nach vorn zum Ehrenpodium, wo bereits die beiden Damen warteten.
Sehr hübsch, das musste Gervase leidenschaftslos zugeben.
Seine zweite Begegnung mit Rosamund de Longspey bestätigte den im Burghof gewonnenen ersten Eindruck, denn Gervase war für das schwache Geschlecht durchaus anfällig. Bereits im Hof war ihm besonders ihr Teint aufgefallen, leicht gerötet und glänzend vom scharfen Wind, was ihrem Gesicht einen zarten Hauch verlieh. Sie hatte eine gerade Nase, wunderschön geschwungene Brauen und grüne Augen. Im Gegensatz zu den Gerüchten war sie wahrlich kein kleines Mädchen, sondern eine ausgewachsene Frau, und zwar eine, die sich selbst mächtig wichtig nahm. Das lag vermutlich an der Erziehung im gräflichen Haushalt, wo man ihr wohl alle Freiheiten gelassen hatte, falls ihn nicht alles täuschte. Dass sie indes aus zweiter Ehe stammen sollte, ging ihm nicht recht in den Schädel. Sie hatte auch wenig Ähnlichkeit mit der Familie Longspey, weder in ihren Zügen noch was die Hautfarbe anbetraf. Da war doch einmal was … Irgendetwas regte sich in den Tiefen seiner Erinnerung, doch es wollte ihm nicht einfallen. Aber es war ihm auch nicht wichtig. Sie entsprach ohnehin nicht seinen Vorstellungen. Vor allem musste er jetzt herausfinden, was es mit dem Erbe auf sich hatte – Rosamund de Longspey war nun einmal da und erhob Anspruch auf die Burg. Somit stand sie seinen Plänen im Wege. Unvermutet und zu seinem Unbehagen entsann er sich auf einmal, wie es gewesen war, als sie ihm die Hand auf die Brust gelegt und wie er ihre schlanke Gestalt in den Armen gehalten hatte, auch wenn sie daraufhin dazu übergegangen war, sich zu wehren. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie aus Leibeskräften zu strampeln begann, hatte sie sich hautnah an ihn angeschmiegt, sodass er sämtliche Rundungen ihres Körpers spüren konnte. Eilig verdrängte er diese Bilder. Von so einer würde er sich nicht aufhalten lassen. Die beschmutzte Familienehre war vortrefflich wiederhergestellt. Die Burg war sein, und alsbald würde das auch für die beiden verbliebenen Grenzkastelle gelten.
Er bemerkte den abfälligen, verächtlichen Ausdruck in den Augen der Lady. Von der auf dem Podest stehenden Ehrentafel aus verfolgte sie sein Kommen mit kühnem und hochmütigem Blick. Wie hatte sie ihn noch genannt? Einen flegelhaften Banausen? Fast hätte er laut gelacht, wusste er doch um seine abgetragene und verdreckte Kleidung. Vermutlich sah er tatsächlich aus wie ein Waldschrat, ein Buschräuber ohne Manieren eben. Zweifellos hielt sie ihn für einen verarmten, hinterwäldlerischen, tölpelhaften Abenteurer, der kein anderes Zuhause kannte als eine heruntergekommene Bruchburg aus Holz und Lehm. Als adelige Dame natürlich von einem ganz anderen Schlag, hatte sie sich dem Anlass entsprechend umgekleidet – mit voller Absicht, da wäre er jede Wette eingegangen. Er war überzeugt, dass Lady Rosamund es faustdick hinter den Ohren hatte. Das Seidenkleid mit den bestickten Borten an Saum und Ärmelbündchen, das kunstvoll hochgesteckte Haar, der Schmuck, all
Weitere Kostenlose Bücher