Die Liebeslist
schleierhaft, warum Ralph de Morgan Interesse ausgerechnet an diesem Kastell hegt.“ Sie schlug die Augen nieder, damit ihre Mutter ihr nicht ansehen konnte, was sie in Wirklichkeit dachte, denn die Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, behagte ihr nicht. Es fiel ihr schwer, sich gegen die stechende Bitterkeit, die sich in ihrer Brust einnistete, zu wehren. „Nicht gerade eine Empfehlung für einen künftigen Bräutigam, was? Trotzdem – de Morgan würde mich nehmen, um das hier zu kriegen. Aus dem einfachen Grund, weil man von hier die Furt über den Wye kontrollieren kann. Jeder Kuhstall in Salisbury ist gepflegter als diese unwirtlichen Räumlichkeiten. Und so etwas jubelt man mir als angemessene Mitgift unter?“ Sie merkte, wie ihre Stimme lauter wurde, und versuchte ohne Erfolg, das aufkommende Bild von einer freudlosen Zukunft zu verdrängen. „Vielleicht kann ich in meinem fortgeschrittenen Alter ja froh sein, wenn überhaupt einer sich bereit erklärt, mich zur Frau zu nehmen. Aus Sicht des Hauses Longspey habe ich keinen hohen Stellenwert. Außer dass meine Brüder durch mich einen Lord aus dem Grenzgebiet für ihre Belange gewinnen können.“
„Ach, du Dummerchen! Du und kein Stellenwert? Wie kommst du denn auf so etwas? Glaube mir, Rose, wenn hier mal ordentlich geputzt ist, stellt sich unsere Lage schon anders dar.“ Petronilla rang sich so etwas wie ein gequältes Lächeln ab. Ihre Zofe Edith flehte derweilen den Himmel um Beistand an. Anschließend zogen sich die Damen diskret aus der Kemenate zurück, nicht zuletzt in dem Bewusstsein, dass die Bettstatt vermutlich allerlei Getier Unterschlupf bot. Die Flöhe und Läuse waren zwar unsichtbar, die Ratten und Mäuse hingegen nicht, erst recht nicht die großen Spinnen, die in sämtlichen Ecken ihre Spinnweben hinterlassen hatten.
„Doch, doch, das stimmt schon. Überleg doch mal! Earl William und Gilbert hofften, sie könnten mir einen Gemahl besorgen, und zwar durch diesen … diesen Trümmerhaufen als Mitgift. Was für einen Stellenwert verleiht mir das denn? Wie stehe ich da?“ Sie straffte die Schultern, nicht gewillt, sich durch diese Kränkung unterkriegen zu lassen. Zumindest konnte sie so tun, als spüre sie die Stiche in der Brust nicht. „Vielleicht geben die Speisekammern ja Grund zur Hoffnung.“
Die Hoffnung war vergebens. Eine vorläufige Bestandsaufnahme erbrachte für die neue Burgherrin nichts außer einer beträchtlichen Anzahl von Bierfässern – ein beklagenswerter Umstand, der sich im Mittagsmahl niederschlug, welches im verdreckten Burgsaal von einem ungewaschenen Küchenjungen aufgetragen wurde. Außer Ale gab es lediglich eine dicke Hammelfleischbrühe, dazu eine Schale mit gedünsteten Zwiebeln und grobes Fladenbrot mit angebrannten Kanten.
Stumm vor Fassungslosigkeit und vom Hunger getrieben, würgten die beiden Frauen diesen Fraß, so gut es ging, hinunter. Rosamund verschaffte die Mahlzeit wenigstens eine Atempause, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie tunkte den Löffel in die fettige Suppe, stocherte angewidert in dem breiigen Zeug herum und schob die Schüssel schließlich von sich. Aus ihrer Sicht blieben ihr drei Möglichkeiten. Die erste war Kapitulation vor der Lage und Rückkehr nach Salisbury, also in die Arme eines Widerlings namens Ralph. Der Schauer, der ihr bei dieser Vorstellung über den Rücken rann, rührte nicht von dem eisigen Durchzug her, der ihr die Füße fast zu Eiszapfen gefrieren ließ. Rückkehr stand also außer Frage. Warum, um Himmels willen, hatte der Wilde Falke sie damals bloß abgewiesen? Ein Frösteln überlief sie, und das hatte nichts mit der Kälte zu tun. Es lag vielmehr an dem Gefühl tief in ihrem Bauch, das er damals in ihr ausgelöst hatte, als sie ihm als Frau angeboten worden war. Seinen eindringlichen Blick würde sie nie vergessen können – und erst recht nicht das Empfinden, das ihre Sinne vernebelte, als er sich mit einem Handkuss von ihr verabschiedete … Sonderbar, dass sie nun auf einmal meinte, seine Hände am ganzen Leib zu spüren …
Aber verschmäht war verschmäht, dachte sie leise seufzend. Und da sie Ralph de Morgan unmöglich heiraten konnte, musste sie sich wohl ein für allemal vom Ehestand verabschieden.
Die zweite Möglichkeit … Liebevoll betrachtete sie ihre Mutter. Diese schob gerade Sir Thomas die Zwiebeln zu, und zwar mit einem hoheitsvollen, aber ganz und gar unehrlichen Lächeln. Die zweite Möglichkeit war, mit der Countess nach Lower
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