Die Liebeslist
das war für den Alltag in einem solchen Kastell am äußersten Rande des Königreiches denkbar ungeeignet. Dennoch unterstrich das satte Grün des Kleides die zarte, schimmernde Haut, die auffällige Augenfarbe, das Rosarot ihrer Lippen … Tief durchatmend hielt Gervase Fitz Osbern inne und brachte seine ausschweifenden Gedanken wieder in geordnete Bahnen.
Sie war nur ein Hindernis, das er überwinden musste, eine Füchsin, die es aus ihrem Bau zu jagen galt. Vermutlich hatte sie sich extra in Schale geworfen, um ihn bloßzustellen, oder? Oben auf dem Ehrenpodest war sie zudem sowieso im Vorteil. Nun, Letzteres ließ sich leicht ändern, Ersteres hingegen nicht. Er näherte sich dem Podest, stieg hinauf und blieb vor ihr stehen. Und als er in das wunderschöne Gesicht sah, da zuckte ihm unwillkürlich ein Gedanke durch den Kopf. Die zornigen Augen hin, das herausfordernde Gebaren her – falls er nicht aufpasste, bildete er sich am Ende noch ein, er müsse sie … nun ja, beschützen vermutlich.
Rosamund de Longspey reichte ihm nämlich kaum bis zur Schulter.
Er blickte zu Boden, um seine Schadenfreude zu verbergen. Er und dieses Weibsbild beschützen? Im Leben nicht, da mochte die Lady noch so hübsch und hilflos tun. Für ihn gab es nur ein erklärtes Ziel: sie aus seiner Burg hinauszuekeln.
Rosamund hatte für ideale Voraussetzungen gesorgt und sich zum Zeichen ihrer herausgehobenen Stellung den für den Burgherrn bestimmten Sessel gesichert, den einzigen im ganzen Saal, der über eine Lehne verfügte und inzwischen zum Stammplatz von Sir Thomas gemacht worden war. Mit Behagen hatte sie den Burgwehrhauptmann auf einen schlichten Schemel verbannt, und nun gedachte sie mit ebensolcher Genugtuung dasselbe mit Fitz Osbern zu tun. Während er den Saal durchquerte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Falls ihm auffiel, wie raffiniert sie mit der Situation umging, so war ihm dies nicht anzumerken. Er wandte den Kopf und wechselte ein paar Worte mit seinem Begleiter, der mit ihm gemeinsam die Halle betreten hatte. Das verschaffte Rosamund die Gelegenheit, ihren Rivalen noch genauer in Augenschein zu nehmen. Gekämmt oder gar den Bart rasiert hatte er sich zwar nicht, aber immerhin das Haar mit den Fingern einigermaßen in Form gebracht. Allem Anschein nach hatte er sich auch den schlimmsten Dreck abgebürstet und den Mantel abgelegt, doch Schwert und Dolch trug er nach wie vor. Die Stiefel bedurften dringend einer gründlichen Reinigung. Alles in allem sah er weiterhin aus wie ein Wegelagerer.
Langsam erhob sie sich.
Der Ritter blieb vor dem Podest stehen und verneigte sich vor den beiden Damen, als hätte er eine Ahnung von Benehmen. Dann erklomm er das Podium, wobei er mit seinen verdreckten Stiefeln beinahe auf den Saum von Rosamunds Seidenkleid trat. Er kam beängstigend nahe, ein wahrer Hüne von Gestalt. Sie musste an sich halten, um nicht vor ihm zurückzuweichen, und es gelang ihr, sich keinen Zoll von der Stelle zu rühren. Fitz Osbern zog sich daraufhin einfach einen Schemel heran, und ehe Rosamund und ihre Mutter wieder Platz genommen hatten, hockte er sich kurzerhand hin, wortlos und ohne zu fragen.
„Guten Abend, die Damen“, brummte er, wobei er die zwei mit gleichgültigem und abwesendem Blick musterte. „Gestatten, Gervase Fitz Osbern mein Name – wie Ihr bereits wisst. Das hier ist Hugh de Mortimer.“
Rosamund setzte sich und neigte gnädig das Haupt, ganz edles Fräulein. Ihre Befürchtungen waren durchaus berechtigt: simple Markgrafen, die zwei, alle beide. Auch nicht besser als das Raubritter-Gesindel, das unschuldige Reisende überfiel. Kein Vergleich mit den gebildeten, feudalen de Longspeys oder König Henrys Höflingen, die zuweilen Salisbury besuchten. In Rosamunds kühler Antwort lag daher ein Hauch von Hochmut, auch wenn sie an ihrem Vorhaben festhielt, ihn mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln.
„Ich bin Rosamund de Longspey. Darf ich Euch meine Frau Mutter vorstellen: Lady Petronilla de Longspey, Dowager Countess of Salisbury.“
„Herzlichen Dank für Eure Gastfreundschaft, Mylady. Nach einem arbeitsreichen Morgen ist ein ausgiebiges Mahl genau das Richtige. Es duftet bereits köstlich.“ Die Bemerkung stammte von Mortimer, der sich gespannt die Hände rieb. Rosamund sprach er zum ersten Mal an; sein eigentliches Augenmerk galt der Witwe. „Ich hörte von Eurem Verlust, Mylady, und wollte Euch sagen, dass ich Euren Gemahl flüchtig kannte. Zuletzt bin ich ihm vor vier
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