Die Liebeslotterie
den Strand, und mein Cesare trägt mich durch die Wellen, und alle küssen sich und schütteln die Hände und sagen auf Wiedersehen, und dann, am nächsten Morgen, sind wir hier in Dot.»
«Nicht in Amerika?»
«Nicht in Amerika.»
«Oh mein Gott! Was haben Sie dann getan?»
«Wir arbeiten. Wir arbeiten, und wir arbeiten, und wir arbeiten. Ich wasche alle Fußböden in Dot und alle Hemden in Dot und jede Rübe in Dot, und drei Wochen sind wir so glücklich, in Amerika zu sein. Und dann, immer ein kleines Stückchen in der Zeit, finden wir heraus, wir sind es nicht. Was hörst du jetzt?»
Agathe runzelte leicht die Stirn. «Ich dachte, ich höre Musik.»
«Ich sehe es in deinem Gesicht.»
«Erzählen Sie weiter.»
«Eines Tages wache ich auf und weiß die Wahrheit, aber so machen es die Leute. Sie wissen die Wahrheit, aber sie glauben sie nicht. Ich sage nichts zu Cesare, und er weiß es und sagt nichts zu mir. Dann, wenn wir im Bett liegen, so müde von den Rüben, erzählt er es mir. Wir weinen.»
«Da ist es wieder», sagte Agathe. «Die Musik. Können Sie sie hören? Muss von der Straße kommen.»
«Vielleicht», sagte Mamma Cesare. Sie legte den Kopf schief und lauschte, und ihre Finger begannen, sich wie im Takt der Musik zu bewegen.
«Sie hören es auch», sagte Agathe.
«Vielleicht. Willst du tanzen oder meine Geschichte hören?»
«Geschichte», sagte Agathe.
«Danach sind wir so wütend, wir arbeiten noch härter. Wir haben ein nettes Zimmer über einem kleinen Laden. Dann wird der Laden leer. Wir mieten den Laden, und wir kochen Kaffee, und es ist, als hätte niemand in Dot jemals Kaffee getrunken. Alle lieben uns. Und dann eines Abends, spät, nach der Arbeit, gehe ich spazieren, und da ist der Goldene Engel, ganz leer und kaputt und schmutzig, mit allen Fenstern vernagelt, und die Zirkusleute kommen heraus und erzählen mir alles. Ich kann den Laden für fast geschenkt kaufen, weil niemand ihn will und niemand ihm nahe kommen will, aber ich kann ihn haben, wenn ich das Theater aufräume.»
«Ich hätte ihnen gesagt, sie sollen ihr Theater selbst aufräumen.»
«Sie können nicht. Sie brauchen mich. Sie kennen jeden in Dot. Sie wissen alles über jeden, und sie wählen mich aus. Du weißt, warum?»
«Warum?»
«Weil wir gleich sind. Hast du jemals von dem Pogrom gehört? Eines Tages, vor langer Zeit, hören die Zirkusleute, dass ein Pogrom kommen wird, und sie packen alles ein, die Musiker und die Menagerie und den Feuerschlucker und die Sänger, alle Perücken und Kostüme und Möbel, und sie gehen. Aber sie schaffen es nicht nach Amerika, und sie kommen zurück.»
«Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln», sagte Agathe.
Mamma Cesare sagte: «Und du solltest ein bisschen Respekt zeigen vielleicht.»
Das Licht im Theater hatte sich verändert wie bei einem Sonnenuntergang. Der Kronleuchter an der Decke glomm nur noch schwach, und über die Wände huschten Schatten und Licht wie erwartungsvolles Flattern goldener Flügel. Agathe hatte den Eindruck, ein Großteil des Lichts käme nun von der Bühne, so als wären die Rampenlichter seufzend erwacht, dabei lag der hintere Teil der Bühne immer noch in geheimnisvollem Dunkel. «Sie sind zurückgekommen», flüsterte sie.
Mamma Cesare hielt Agathes Hand fest und drückte sie in den Sessel zurück. «Kein Grund zur Angst. Ich bin strega aus langer Tradition von streghe. Ich habe die Gabe. Mein Junge Cesare hat die Gabe. Und du. Sie mögen dich. Sie sorgen sich. Sie sorgen sich um dich, mehr nicht.»
«Sie sind zurückgekommen!» Mehr brachte Agathe nicht über die Lippen. Sie konnte die Kapelle nun ganz deutlich hören, dort auf der Bühne. Nicht draußen auf der Straße, sondern hier, im Theater.
«Psst!», machte Mamma Cesare. «Dasselbe passiert mit ihnen. Böser Kapitän. Eines Tages setzt er sie am Strand abund sagt: ‹Nach Amerika geht’s da lang. Mit euren Trommeln und dressierten Hunden und Tamburins geht ihr ein kleines Stück, und dann kommt Amerika.› Es ist eine Sandbank. Und er segelt davon, und die Flut kommt, und alle ertrinken. Alle außer einem kleinen Mädchen. Das kleine Mädchen wickeln sie in eine Samtdecke mit roten und goldenen Streifen, die eigentlich Mimi, dem Wunderhund, gehört, und sie legen das kleine Mädchen in eine Trommel, und es treibt davon. Sie kommen hierher zurück, um auf das Mädchen zu warten.»
«Aber es muss tot sein!»
«Sag es ihnen nicht. Es würde sie traurig machen.»
Agathe
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