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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Licht der Straßenlaternen willkürlich zurückwerfen. Zu kalt. Versuchen Sie zu ignorieren, dass sie an der Ecke einen Blick hinauf zur warm leuchtenden Wohnung der Oktars wirft. All das geht nur sie etwas an.
    Belästigen Sie sie nicht, wenn sie durch die Kirchenallee läuft, wo sie sich vom Licht einer Straßenlaterne ins Dunkel und dann ins Licht der nächsten Straßenlaterne arbeitet. Sie hängt ganz ihren Gedanken nach, und treten Sie ihr nicht zu nahe, wenn sie die Stufen zur Kathedrale hinaufsteigt, um einige Minuten vor der verschlossenen Tür zu verharren, die sich ihr nicht öffnen will. Falls Agathe etwas zu sagen hat, ist es nicht für Ihre Ohren bestimmt. Warum gehen Sie nicht einfach ein Stückchen vor? Sie können in der Schlossstraße auf sie warten, vor dem Goldenen Engel.
    Nun könnte niemand ernstlich behaupten, Agathe hätte sich beeilt, um zu dem Treffen mit Mamma Cesare zu gelangen. Trotzdem war es, als sie ankam, erst neun Uhr, und sie fror jetzt schon. Sie legte eine Hand auf die funkelnde, polierte Klinke und betrat eine warme Welt des Lichts, der Ruhe und des Dampfes, eine Welt mit Kaffee und Mandeln.
    Das Restaurant war immer noch gut gefüllt mit Paaren, die sich nach der Oper zu einem späten Abendessen eingefunden hatten, mit Jünglingen, die ihre neue Freundin mit Espresso und Zigaretten beeindrucken wollten, und mit alleinstehenden Männern mit fransigen Hemdmanschetten, die ihr Risotto lieber außer Haus aßen, als womöglich die eigene Küche in Brand zu stecken. Trotzdem fand Agathe in einer Ecke einen freien Tisch, weit von der großen Frontscheibe entfernt, und sie breitete ihre Handschuhe flach auf dem Tisch aus und wartete still und geduldig, bis Mamma Cesare herüberkam.
    «Du bist früh», sagte sie in nicht gerade freundlichem Ton.
    «Das tut mir leid. Ist es schlimm? Ich hatte nichts zu tun. Ich dachte, ich warte hier.»
    «Was möchtest du?», fragte Mamma Cesare.
    «Danke. Ein Kaffee wäre schön.»
    «Ich komme zurück. Aber wir bleiben bis zehn geöffnet. Du willst vielleicht eine Zeitung lesen?»
    «Nein!» Das kam etwas hektischer als beabsichtigt heraus. «Nein. Vielen Dank. Nur einen Kaffee.»
    Mamma Cesare stellte sich an die Kaffeeorgel, setzte ein paar Hebel in Bewegung, ließ Dampf entweichen, verspritzte heißes Wasser und klapperte mit einer alten Blechkanne. Dann kam sie mit einem wunderschönen, zitternden, schaumigen Cappuccino an Agathes Tisch zurück. Diesmal lag keine Schokolade auf der Untertasse.
    Mamma Cesare steckte eine Hand in die Kittelschürze, zog einen kleinen Quittungsblock heraus, unter dessen erster Seite ein Stück Kohlepapier steckte, und schrieb eine Rechnung.
    «Oh», sagte Agathe, «ich habe kein Geld dabei.»
    Mamma Cesare warf ihr einen stechenden Blick zu und steckte die Rechnung wieder ein. «Du bist Gast. Keine Rechnung für Gast.»
    Aber Agathe entging nicht, dass die alte Dame das Papier, als sie wieder an der Kasse stand, auf einen Kupferspieß steckte und ein paar Münzen in die Kassenschublade warf.
    Agathe wusste, wie man sich eine Stunde lang an einem Kaffee festhält. Sie warf einen Blick auf die Uhr hoch oben hinter der Theke und nahm sich vor, alle vier Minuten einen Schluck zu trinken. Dazwischen würde sie die Leute im Laden beobachten, sich Lebensläufe und Geschichten zu ihnen ausdenken und sich überlegen, was diese Leute wohl taten, wenn sie nicht gerade einen Abend im Goldenen Engel verbrachten.
    Sie hatte das Spiel schon öfter gespielt, aber aus irgendeinem Grund fielen ihr an diesem Abend nur traurige Geschichten ein. Der Mann, der da hinten allein saß, kam seit dem Tod seiner Frau täglich in den Goldenen Engel. Jene Frau dort hatte beschlossen, sich einen schönen Abend zu gönnen, bevor sie morgen früh wieder aufs Postamt am Kommerplatz laufen und sich fragen würde, warum immer noch kein Brief von ihrem Mann angekommen war, der sie nach Amerika hatte nachholen wollen. Das händchenhaltende Paar dort war verheiratet, aber nicht miteinander, und heute Abend würden sie sich wieder einmal zum letzten Mal voneinander verabschieden.
    Nach zwölf Schlucken hatte Agathe es geschafft, sich elend zu fühlen, und als es nur noch zehn Minuten bis Geschäftsschluss waren, traten die Kellner des Goldenen Engel in Aktion wie die mechanischen Apostel in der Kuppel meiner Kathedrale. Einer trat forsch an die Doppeltür, stellte einen Flügel mit zwei Riegeln fest und zog einen großen Schlüsselbund heraus, um das Schloss

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