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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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warum sie jemals vor Bürgermeister Tibo Krovic Angst haben sollte. Aber bei Hektor war es anders. Da war etwas. Vielleicht lag es daran, dass er ein Mann war, ein richtiger Mann, ein ganzer Mann, wie sie noch nie einen kennengelernt hatte. Und gleichzeitig ein kleiner Junge. Ein kleiner Junge, der ihr vor lauter Scham nicht erzählen konnte, was er verbrochen hatte und warum er das Geld brauchte. Dummer Junge, dachte sie. Sie würde seine Schulden bezahlen, mit Freuden sogar, und niemals würde er sich dafür bedanken müssen. Er würde es nur wissen, und das wäre Agathes Belohnung.
    Lächelnd stieg Agathe aus und lief zum Rathaus. Die Post lag bereits auf ihrem Schreibtisch und wartete darauf, sortiert zu werden – ein paar gewöhnlich aussehende Briefe für BürgermeisterKrovic, eine graue Mappe vom Stadtschreiber, ein paar heikle Dokumente, die mit einer Dachreparatur und dem Schlachthof zu tun hatten, und ganz unten, noch vor Ankunft des Laufjungen auf dem Schreibtisch platziert, ein Zettel mit der Handschrift des Bürgermeisters. Darauf stand: «An der Tür zum Goldenen Engel hängt ein Schild: ‹Wegen Trauerfall geschlossen›. Bitte finden Sie heraus, was passiert ist und ob wir helfen können», und unterschrieben war das Ganze mit «K».

 
    INNERHALB VON drei Jahren hat sich viel getan im Goldenen Engel. Das kleine Hochzeitsfoto in seinem abgegriffenen Rahmen, das früher auf Mamma Cesares Frisierkommode stand, hängt nun an einem Ehrenplatz im Schankraum. Und darüber hängt ein größeres Bild in einem verschnörkelten Goldrahmen; es zeigt einen Mann mittleren Alters mit verdächtig schwarzem Haar und eine dunkeläugige Frau in einem schlabberigen Kleid. Es handelt sich um Cesare und Maria, seine jüngere Frau, die ihm jeden Tag Nudeln kocht und ihm jede Nacht erzählt, wie sehr es ihr in Dot gefällt, selbst wenn es kalt ist und fernab der alten Heimat.
    Maria ist nicht allein. Es gibt den kleinen Cesare, der inzwischen schon fast aus seinem Gitterbettchen klettern kann, und das ist auch gut so, denn schließlich wird das Bett für die kleine Maria gebraucht werden, die unterwegs ist. Und dann sind da noch die «Onkel» Luigi und Beppo, Marias Brüder, die sich bei einem Blick in den ausgetrockneten Brunnen ihrer Zweiziegenfarm überlegt hatten, dass es möglicherweise gar keine schlechte Idee sei, im weitentfernten Restaurant des Schwagers zu kellnern.
    Cesare war erstaunt darüber, wie schnell sich sein Ruf als millionenschwerer Geschäftsmann in der alten Heimat verbreitet hatte; aber er sah ein, dass Blut immer noch dicker als Wasser war, und außerdem würde es ihn glücklich machen, solange es nur Maria glücklich machte.
    Dabei machte es ihn unglücklich. Luigi und Beppo hassten einander, und sie waren von aufbrausendem Temperament – ganz und gar nicht die Sorte Mann, die Cesare eingestellt hätte, um wie die Schweizer Garde im Vatikan seines Cafés herumzustehen. Sie beschimpften einander über den ganzen Raum hinweg, und selbst Cesares bedrohlichstes Augenbrauenzucken reichte nicht aus, um sie zum Aufhören zu bewegen. Manchmal – zum Glück hatte Mamma das nicht miterleben müssen – hatte er sich gezwungen gesehen, seinen Platz an der Kaffeeorgel zu verlassen und energisch auf sie einzureden – und zwar aus nächster Nähe   –, um sie endlich zum Schweigen zu bringen. Aber das war nie von Dauer. Es dauerte nicht lang, und sie zischten und spuckten einander an wie Katzen, oder sie machten üble Drohgebärden, indem sie mit dem Finger zeigten oder das Kinn vorschoben oder sich in den Daumen bissen, was in den Augen der nicht besonders weitgereisten Gäste glücklicherweise nichts zu bedeuten hatte.
    «So geht es nicht weiter», sagte er zu Maria.
    «Stell einen von ihnen zu mir in die Küche. Sag ihm, es handele sich um eine Beförderung. Damit ist das Problem gelöst.» Und sie küsste ihn.
    Gleich am nächsten Morgen tippte Cesare Luigi auf die Schulter und sagte: «Gute Nachrichten – du bist befördert. Melde dich bei Maria in der Küche. Es gibt keine Gehaltserhöhung.»
    Aber das Ganze war ein Fehler. Immer schon hatte Maria Luigi vorgezogen, und Beppo wusste darum. Schon seit sie kleine Kinder gewesen waren und Beppo auf Salamanderjagd gegangen war oder den Männern beim Schweineschlachten zugesehen oder kleine Vögel mit Steinen beworfen hatte, war Luigi lieber daheim bei Maria geblieben, um aus StrickrestenPuppen zu basteln oder im Garten Blumen zu pflücken und mit Maria

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