Die Liebeslotterie
im zweiten Flügel mit einem Pistolenschussknall zuschnappen zu lassen. Die Gäste schauten von den Kaffeetassen auf und sahen, wie er sich aufgebaut hatte, um den Eingang gegen Nachzügler zu verteidigen und den Anwesenden die Tür zu weisen. Und noch bevor sie Gelegenheit hatten, sich gekränkt zu fühlen, verschwanden die Aschenbecher von den Tischen, wurden halb leergegessene Teller mit einem knappen «Fertig, der Herr?», das eigentlich keines Fragezeichens bedurfte, abgeräumt und Tischdecken energisch abgestrichen. Hier waren Experten am Werk – effizient, geübt, erfahren und nur einen schnurrbartdünnen Hauch diesseits der Grenze zur unverhohlenen Unverschämtheit. Die Gäste schickten sich an zu gehen – der einsame Witwer, das zur unerfüllten Liebe verdammte Paar, die verlassene Ehefrau. Als Letztere an der Tür stand und sich das Kopftuch umband, rief Mamma Cesare ihr zu: «Morgen kommt der Brief. Sie sehen. Morgen.»
«Ich hoffe es», sagte die Frau und trat mit einem mutigen Lächeln in die Kälte hinaus.
Nach einem Tag voller Überraschungen konnte diese Letzte Agathe kaum noch überraschen. Ich frage mich, woher ich das wusste, dachte sie, als die Tür hinter dem letzten Gast ins Schloss fiel und sie als letzter Eindringling im Goldenen Engel zurückblieb.
Die Kellner machten sich daran, die Stühle hochzustellen,Zuckerdosen und Salzfässer aufzufüllen und das letzte Geschirr in die Spülküche zu befördern. Noch bevor die Glocken der Kathedrale zehn schlugen, waren die Spuren sämtlicher Gäste verwischt; das Restaurant war aufgeräumt, blankgeputzt und für den kommenden Tag bereit.
«Stell deinen Stuhl hoch», befahl Mamma Cesare. «Wir gehen.» Sie trat durch die kleine Schwingtür, die Agathe bei ihrem ersten Besuch aufgefallen war und die auf den dunklen Flur führte, der sich in den hinteren Teil des Gebäudes wand. «Beeilung», sagte Mamma Cesare und hastete voraus.
Als Agathe im Flur um die Ecke bog, sah sie Mamma Cesare schon winkend in der Tür zum hellerleuchteten Schlafzimmer stehen. «Komm, komm, schneller!», sagte sie und verschwand.
Als Agathe die Tür hinter sich schloss, saß Mamma Cesare bereits auf dem Bett. Sie ließ die Schultern hängen und wirkte fahl und erschöpft. «Komm herein. Setz dich», sagte sie, «setz dich hier.» Sie klopfte neben sich auf die Matratze, und als Agathe auf dem ächzenden Bett Platz genommen hatte, ergriff Mamma Cesare ihre Hand. «Tut mir sehr, sehr leid», sagte sie, «eine böse, schlechte alte Frau bin ich.»
«Nein, sind Sie nicht», widersprach Agathe.
Mamma Cesare tätschelte ihre Hand. «Doch, doch. Nicht nett zu dir, aber das ist nur, weil ich mir Sorgen mache.»
«Ach, Schluss damit», sagte Agathe, «um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie sind nicht ganz auf dem Posten. Das ändert sich, wenn der Sommer kommt.»
Mamma Cesare lächelte müde, und ihre wässrigen Augen sagten: «Wenn der Sommer kommt, bin ich nicht mehr hier.» Aber dann schwang sie wortlos die Füße auf den Boden und griff sich von der Frisierkommode einen großen Schlüssel. Sieschniefte. «Höre, vor längerer Zeit habe ich dir erzählt, dass die Leute mir Sachen erzählen, und ich höre zu?»
«Ja, ich erinnere mich», sagte Agathe.
«Ich möchte, dass du meine Freunde kennenlernst. Hilf mir bitte.» Mamma Cesares Frisierkommode stand am gewohnten Ort, in der einzigen freien Ecke des Zimmers und zur Hälfte vor einer einfachen Tür aus Kiefernholz. Mamma Cesare stieß ihre Hüfte gegen die Kommode, dass die Haarnadeln in der Haarnadelschale klapperten, die Cremetöpfe klirrten und das Hochzeitsfoto in dem alten Rahmen umkippte. Sie hatte die Kommode ein Stück weit von der Wand abgerückt. «Komm schon, komm schon! Hilf mir. Ich bin eine alte Frau.»
Agathe packte eine Ecke der Frisierkommode und zog sie von der Wand weg. Sie hatte so wenig Mühe damit, wie eine starke, junge Frau bei guter Gesundheit eben hat.
«Gut. Es reicht. Nun können wir gehen.»
Agathe machte sich auf ein Türknarren gefasst. Sie erwartete einen schmalen Gang voller Spinnweben und piepsender Fledermäuse, aber solchen Unsinn hätte Mamma Cesare nie geduldet. Durch die halb offene Kieferntür fiel das Licht auf einen breiten Durchgang mit verblichenem, rotem Brokat an den Wänden, an dessen Ende sich eine Steintreppe in die Dunkelheit hinaufwand.
Mamma Cesare nahm Agathes Hand und ging vor. «Du kommst und siehst», sagte sie.
Agathe stieß an eine weinrote
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