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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Knöchel schlugen. Die Hosenbeine des anderen waren viel zu lang und verdeckten seine Schuhe.
    Langhose sagte: «Ich bin Welter, und dies ist Inspektor Levant.»
    Tibo reichte ihnen die Hand. «Meine Herren, was kann ich für Sie tun?»
    Welter nickte in Richtung der Zeitung, die unter Tibos Arm steckte. «Es geht um den toten Kerl   – Stopak.»
    «Ah, ja. Ich habe es gelesen. Leider weiß ich nicht mehr, als in der Zeitung steht.»
    «Was ist mit Ihrer Sekretärin?», fragte Levant.
    «Was soll mit ihr sein?»
    «Herr Bürgermeister, Sie müssen doch wissen, dass die zwei in wilder Ehe lebten – seit Jahren.»
    Tibo merkte, wie sein Gesicht sich zu einer Maske der Abscheu verzog. «Da müssen Sie sie selbst fragen», sagte er.
    «Aus diesem Grund sind wir hier», sagte Levant in einem spöttischen Singsang.
    «Wissen Sie, wo wir sie finden können?», fragte Welter.
    «Tut mir leid, sie ist seit einiger Zeit nicht mehr zur Arbeiterschienen», sagte Tibo, was nicht gelogen, aber auch keine Antwort auf die Frage war.
    «Wir machen uns Sorgen», sagte Welter. «All ihre Sachen sind aus der Wohnung verschwunden. Nicht, dass das etwas zu bedeuten hätte. Alles weg. Sie wissen ja, wie es in der Kanalstraße zugeht, Herr Bürgermeister. Die haben alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war.»
    «Da ist für Sie wohl nichts zu machen», sagte Tibo. «In Bezug auf Beweisstücke, meine ich.»
    «Ich weiß, was Sie meinten», sagte Welter. Er zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie Tibo. «Falls sie noch zur Arbeit erscheint, müssen wir sie dringend sprechen.»
    Nachdem sie Tibo ein weiteres Mal die Hand geschüttelt hatten und gegangen waren, ließ er sich in seinen Sessel fallen. Als er die Polizisten in seinem Büro gesehen hatte, hatte er begriffen, dass es keine Hoffnung auf einen schlechten Traum mehr gab.
    Es gibt nichts Ernüchternderes als einen Polizisten. Ein Polizist im eigenen Büro wirkt wie ein Eimer kaltes Wasser auf die Seele.
    Und jetzt hatte Tibo sie belogen, oder zumindest hatte er ihnen Informationen vorenthalten, und alles nur, um die Frau, die er liebte, zu beschützen, obwohl sie womöglich eine Mörderin war oder wenigstens doch verrückt geworden. Außerdem wollte sie ihn mit ihrem irren Gerede von verwunschenen Theatern und gespenstischen Muskelmännern in ihren Wahnsinn hineinziehen! Abgesehen davon, dass Tibo den Muskelmann mit eigenen Augen gesehen hatte. Und die Mädchen mit den Jonglierkeulen auch. Und die Tänzerin mit dem dressierten Hund. Ja, er hatte den Hund gesehen – und er hatte den Polizisten nichts davon erzählt. Es war eine echteSpur, ein Hinweis, der möglicherweise jeden Verdacht gegen Agathe ausgeräumt hätte, aber Tibo hatte geschwiegen. Und nun war es zu spät. Es gab kein Zurück, er konnte unmöglich in Welters Büro laufen und sagen: «Oh, ich hatte ganz vergessen, Ihnen von dem Muskelmann aus dem Zirkus zu erzählen, den ich natürlich nur kenne, weil Agathe mir von ihm erzählt hat; ehrlich gesagt, hält Agathe ihn für einen Geist, und vielleicht habe ich auch vergessen, Ihnen zu erzählen, dass sie zurzeit bei mir wohnt, weil ich sie seit vielen Jahren liebe, aber an Ihrer Stelle würde ich mir nicht die Mühe machen, sie um eine Unterredung zu bitten, denn sie verwandelt sich gerade in einen Hund.»
    Je länger Tibo darüber nachdachte, desto schlimmer wurde es. Der Ruin, die Lächerlichkeit, die Schande, alles, was er je gefürchtet hatte, alles, was ihn bis jetzt zurückgehalten hatte, alles, wofür er Agathe geopfert hatte, drohte ihm nun.
    Tibo litt unter einem panischen, gehetzten Gefühl, das einen normalerweise nur im Traum überfällt, wenn «sie» hinter der Tür lauern, wenn die Flucht der einzige Ausweg und kein Ausweg in Sicht ist, wenn man sich beinahe wünscht, endlich gefangen genommen zu werden, nur, um die Angst nicht mehr ertragen zu müssen. Tibo stellte sich ans Fenster, beobachtete die Straßen und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. Er fing an, durchs Zimmer zu tigern. Er ging ins Vorzimmer, um Kaffee zu kochen. Er überlegte es sich anders und kam zurück. Er bemerkte zum ersten Mal den neuen Papierkorb, den Peter Stavo ihm gebracht hatte, und er war gerührt.
    Tibo putzte sich die Nase und strich sich das Revers glatt, und dann ging er, noch bevor er wusste, was er da tat, vor dem Stadtwappen an der Wand auf die Knie. Er schlug sichdie Hände vors Gesicht und rief: «Walpurnia, hilf!» Er sagte: «Hilf mir. Ich

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