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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Schlafzimmertür, legte sich die Finger an die Blusenknöpfe und erinnerte sich, dass sie offen standen. Was Hektor wohl gesehen hatte? «Hier», sagte sie plötzlich, «Zeit fürs Abendbrot.» Sie riss die Milchtüte auf und tauchte zwei Finger hinein, um sie dem kleinen Kater anzubieten. Begeistert schleckte er sie mit rauer, rosa Zunge ab. «Versuch das einmal!» Sie riss ein Stückchen vom Lachs ab, und der Kater stürzte sich darauf wie ein Tiger. Agathe lachte. «Ich werde mir vom Zirkus einen Stuhl und eine Peitsche ausleihen müssen, du Rüpel! Aber mach dir keine Hoffnungen. Auf Schloss Stopak wird nicht jeden Abend Räucherlachs serviert. Das ist nur ein Willkommensgruß. Morgen kriegst du die Abfälle der Fischhändlerin!»
    Sie fütterte den Kater noch für eine Weile, dann gab sie ihm, weil der Lachs so salzig war und durstig machte, noch mehr Milch von ihren Fingerspitzen zu trinken.
    In der Küche schlug eine Tür zu, und Hektor sagte irgendetwas über «kein blödiges Bier» und dann etwas über «drei Kronen», dann scharrte ein Stuhl, die Wohnungstür fiel ins Schloss, und es wurde still.
    Agathe nahm das Kätzchen, drückte es sich an die Brust und legte sich wieder aufs Bett. Während sie es hinter den Ohren kraulte, gab es das schwerfällige Schnurren einer Kaffeemühle von sich. Es schnurrte, sie kraulte. Sie kraulte, es schnurrte. Still und heimlich dösten sie zusammen ein, und Agathe wäre bis zum nächsten Morgen so liegen geblieben, hätte sie nicht das Geräusch eines Kätzchens geweckt, das sich erst umständlich an den Vorhängen erleichterte und dann auf dem Teppich Hackenpässe schlug.
    Agathe sprang vom Bett, und eine Wolke aus zerfetztem Butterbrotpapier und Lachsresten stob auf. «Nein! Böser Kater!»,rief sie, woraufhin sich das Kätzchen schutzsuchend unters Bett flüchtete. Agathe hatte keine Ahnung, wie man mit Katzenpisse an Vorhängen umging. Ihre Großmutter hätte Rat gewusst. Sie hätte ein einfaches Hausmittel parat gehabt – Essig oder Rübenschalen mit Backpulver, irgendetwas in der Art. Agathe wusste lediglich, dass die Flecken nicht eintrocknen durften. Sie stürzte in die Küche und kam mit einem Kessel voll kaltem Wasser zurück, das sie auf die Vorhänge goss. «Einweichen lassen», murmelte sie, «das kann nicht schaden.» Und dann, als sie einen Blick aus dem Fenster warf, konnte sie sehen, dass es bereits dunkelte. Sie sah auf ihre Uhr. Fast halb zehn. Mamma Cesare! Agathe schlüpfte in ihre Schuhe und rannte los.
    Die Straße war still und menschenleer. Die Oktars hatten ihren Laden zugemacht. Niemand war zu sehen, und die geschlossenen Fenster und verriegelten Türen auf der gegenüberliegenden Straßenseite warfen das Echo von Agathes klappernden Absätzen zurück. Während sie durch die Aleksanderstraße eilte, hörte sie das ferne Kreischen der nahenden Tram, das Scheppern der Eisenglocke. Sie stellte sich den Funkenregen vor, der in der großen Kurve vor der Brücke von den Rädern sprühte, und sie hastete weiter. Aber als sie die Kreuzung endlich erreicht hatte, entfernte die Tram sich bereits ruckelnd von der Haltestelle und rollte auf die Grüne Brücke.
    Langsam ging Agathe zum schmiedeeisernen Wartehäuschen und setzte sich. Die nächste Tram würde in zehn Minuten kommen. Agathe saß auf der Bank, ordnete ihren Mantel, zog sich die Strümpfe zurecht und knöpfte ihre Handschuhe zu. Sie klappte ihre Puderdose auf und warf einen Blick in den Spiegel, seufzte unzufrieden, knöpfte den einen Handschuhwieder auf, zog ihn mit den Zähnen ab, leckte einen Finger an und strich eine widerspenstige Augenbraue glatt. Dann überprüfte sie ihr Gesicht im Spiegel – so sah sie gleich anständiger aus. Sie hielt den Handschuh fest und fischte mit der freien Hand Münzen aus ihrer Manteltasche. Genug, um bis zur Schlossstraße zu kommen. Zehn Minuten können ganz schön lang sein.
    Agathe lehnte sich zurück und wagte einen vorsichtigen Blick zu den Drei Kronen hinüber. Niemand war zu sehen; wenn man die zwei hinauswarf, würde die letzte Tram längst abgefahren sein. Niemand kam heraus. Agathe stand auf und stellte sich an den Eingang des Wartehäuschens, um sich an die schmiedeeiserne Säule anzulehnen und einen Blick in die andere Richtung zu werfen, über die Brücke und bis zu meiner Kathedrale auf dem Hügel. Die letzten Strahlen der Abendsonne brachten die Kuppeln und Zinnen zum Glühen, und die Kathedrale schwang einen Taubenschwarm über ihrem Kopf wie

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