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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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tatsächlichen Schaden von sechzig hinausläuft. Weitere sechzig gehen an den Mann mit der gebrochenen Nase.»
    «Die war vorher schon gebrochen», warf Yemko ein.
    «Können wir uns dann auf fünfzig einigen? Für mich ergibt das zweihundertzehn.»
    «Bei einem Satz von zehn pro Woche, Euer Ehren.»
    «Nein, Herr Guillaume, ich denke da eher an dreißig pro Woche, nun, da Ihr Mandant eine feste Anstellung hat.» Und er beugte sich auf dem Richterstuhl vor, um zu warnen: «Wenn Sie auch nur eine Rate verpassen, Herr Stopak, werden Sie Zellenwände streichen.»
    Damit war das Tagesgeschäft erledigt.

 
    ES WAR FAST DREI UHR, als Tibo die Schreibarbeiten erledigt hatte und durch die Stadt zu seinem Büro am Rathausplatz zurückging. Sandor, der Laufbursche, hatte bereits die druckfrische Ausgabe des Abendblattes gebracht, und Agathe reichte sie Tibo wortlos, als der an ihrem Schreibtisch vorüberkam.
    Tibo schlug die Zeitung auf und setzte sich zum Lesen an seinen Schreibtisch. Die Überschrift schwärmte:
     
    BÜRGERMEISTER KROVIC BRÜSKIERT UMLAUT
     
    Und darunter, in kleineren Lettern und neben einem grimmigen Archivfoto von Tibo, eine Unterzeile:
     
    Beleidigung durch Umlauter Zapf zurückgewiesen
     
    Und darunter, in winzigen Lettern:
     
    Exklusivbericht von Barni Knorrsen
     
    – der aus Tibos Brief eine Art Story fabriziert hatte, die im Folgenden präsentiert wurde.
    Agathe stellte eine Tasse Kaffee mit zwei Ingwerkeksen aufder Untertasse neben die Zeitung auf den Schreibtisch. Tibo bedankte sich. «Stopak – der ist doch Anstreicher, oder?»
    «Das stimmt», sagte Agathe. «Er hat ein eigenes Geschäft. Warum fragen Sie?»
    «Aus keinem bestimmten Grund. Hatte er heute viel zu tun?»
    «Das weiß ich nicht. Mag schon sein. Er ist sehr früh aus dem Haus gegangen, noch bevor ich aufgestanden bin. Warum? Brauchen Sie einen Handwerker?»
    «Nein, ich glaube nicht. Aber ich habe noch viel zu tun. Ich sollte mich beeilen.»
    Während sie sich zum Gehen umdrehte, klopfte Agathe mit einem roten Fingernagel auf die zusammengefaltete Zeitung. «Die haben ‹Bordello› falsch geschrieben», sagte sie. «Ausgerechnet! Dabei hatten Sie sich solche Mühe damit gegeben.» Und mit einem parfumierten Seufzer zog sie die Tür hinter sich zu.
    Sobald sie aus dem Zimmer war, sprang Tibo auf, lief zur Tür und öffnete sie wieder. Er setzte sich, nippte an seinem Kaffee und genoss den Blick auf den Brunnen und die Kathedrale, bevor er sich an die Arbeit machte. Agathe hatte ihm einen hübschen Stapel Briefe zur Unterschrift vorgelegt. In einer roten Ledermappe lagen weitere Briefe, die er würde lesen müssen, außerdem die Ausschreibung für den Neubau der Polizeiwache im Nordbezirk, und dann gab es da noch die Schulangelegenheit, mit der er sich, er hatte es der Großmutter mit dem roten Regenschirm versprochen, befassen wollte. Aber erst einmal nippte Tibo an seinem Kaffee und beobachtete die Tauben, die die Kathedrale umkreisten, bevor sie sich nach ihrem stündlichen Weckruf und Ausflug wieder an ihren Schlafplätzen niederließen.
    Eine Brise wehte zum Fenster herein. Tibo konnte sie herannahen sehen, sie zerrte an den Ulmen an der Ampersandallee, versprühte das Wasser der Brunnen auf dem Rathausplatz, blähte die dünnen Vorhänge seines Arbeitszimmers auf, wühlte ein bisschen in den Papieren auf seinem Schreibtisch und verschwand dann, unsichtbar, in Agathes Zimmer. Tibo wusste, der Lufthauch musste sie berührt, ihre Lippen gestreift und ihren Mund gefüllt haben, Agathe musste ihn eingeatmet und für selbstverständlich gehalten haben.
    «Frau Stopak», rief er, «wie heißt das Parfum, das Sie benutzen?»
    «Warum in aller Welt wollen Sie das wissen, Herr Bürgermeister?»
    «Schon gut. Entschuldigung. Vergessen Sie die Frage.» Tibo klappte die rote Ledermappe auf und begann zu lesen.
    «Es heißt ‹Tahiti›», sagte Agathe.
    Und Tibo murmelte das Wort wieder und wieder vor sich hin, während er arbeitete. «Tahiti, Tahiti, Tahiti.» Es vermischte sich mit dem Klappern von Agathes Schreibmaschine, dem Plätschern des Brunnens und dem Rumpeln der Trambahnen, Tibo arbeitete, bis es zu dunkel zum Arbeiten war.
    Hätte er nur gefragt, wäre Agathe die ganze Nacht im Büro geblieben, um ihm zu helfen, aber er fragte nicht. Also räumte sie ihren Arbeitsplatz auf und schloss die Schreibtischschublade um kurz nach fünf ab. Sie konnte fühlen, wie die kalte Verzweiflung in ihrer Brust wie ein Kieselstein von

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