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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Toilette mit ‹Dot-Bleiche› so weiß wird wie ich. Das würde mir kein bisschen gefallen. Gibt es in Äthiopien Trambahnen? Und Toiletten? Oje.
    Der Schaffner wirbelte um seine Haltestange wie ein Akrobat, er nahm Anlauf, sprang ab, hielt sich an der Stange fest und schwang sich auf die Plattform zurück. Agathe ignorierte ihn so angestrengt und vehement, wie man jemanden überhaupt nur ignorieren kann. Natürlich, dachte sie, sein mutiger Vorstoß hat es nicht gebracht, deswegen versucht er jetzt, mich mit diesem Affengehabe zu beeindrucken.
     
    BORA-BORA-COLA
    Eine Geschmackssensation,
    so frisch wie der Ozean!
     
    Zu süß. Ich weiß noch, wie ich sie auf der Fähre probiert habe. Mir wurde regelrecht übel. Kann an der Fähre gelegen haben, aber ich könnte das Zeug kein zweites Mal trinken. Ehrlich gesagt, wird mir schon schlecht, wenn ich nur den Schriftzug sehe. Schnell schaute sie weg.
    Das letzte Schild in der Reihe trug weiße Buchstaben auf rotem Hintergrund. Sehr direkt. Keine Werbesprüche. Keine Mätzchen. Da stand:
     
    Kinderheim St.   Walpurnia
    Haben Sie je an Adoption gedacht?
     
    Nein!, dachte Agathe. Ja. Nein. Nein!
    Der Schaffner läutete die Glocke. «Schlossstraße! Nächster Halt: Schlossstraße.»
    Agathe sprang aus der Tram und lief die Straße entlang, genau so, wie sie es an diesem Morgen schon einmal getan hatte. Ihre Absätze klackerten über das Pflaster, während es über ihrem Kopf im Uhrenturm der Kathedrale schwirrte und jaulte. Das Zehn-Uhr-Läuten hatte längst angefangen, als sie den beinahe völlig verdunkelten Goldenen Engel erreichte. Hinter den Fenstern waren schwere Jalousien heruntergelassen worden, und die letzte ging, von einer dunklen Artischocke von einer Faust am rechten Platz gehalten, gerade hinter der Eingangstür nieder. Agathe klopfte mit behandschuhten Fingerknöcheln gegen die Scheibe. Die Jalousie blieb stehen. Aus der Artischockenfaust entrollte sich ein einzelner Finger, der energisch nach links zeigte, die Schlossstraße hinauf. Dann kam die Jalousie ganz herunter, und die Lichter gingen aus.
    Agathe war ratlos. Wieder klopfte sie an die Milchglasscheibe. Nichts passierte. Agathe wartete. Nichts passierte.
    «Ach, kommen Sie!», rief sie. «Ich habe mich nicht verspätet! Na ja, kaum. Eigentlich gar nicht. Habe ich nicht. Ich war pünktlich.» Noch einmal klopfte sie an die Scheibe. Nichts passierte. «Du meine Güte!» Agathe zog eine Schnute. Sie wartete noch ein paar Minuten – und gab auf. Sie wandte sich um und wollte gerade den Heimweg antreten, als vor ihr, nur zwei Läden weiter, Mamma Cesare in einem Hauseingang auftauchte.
    Sie sagte: «Du hast dir Zeit gelassen. Wir hatten zehn Uhr vereinbart.»
    Agathe starrte sie mit offenem Mund an und sagte: «Aber   … aber   … Ich warte seit zehn Minuten auf der Straße.»
    «Tja, das war sehr dumm. Hast du meinen Finger nicht bemerkt?»
    «Ich hatte keine Ahnung, worauf Sie gezeigt haben.»
    «Doch, hattest du», sagte Mamma Cesare. «Schnell, komm herein.»
    Sie beugte sich vor, um Agathe auf die Stufe und durch eine halbgeöffnete Doppeltür in einen rechteckigen Vorraum mit schwarz-weißem Mosaiksteinboden zu ziehen.
    Hinter ihr fiel die Tür mit einem bedrohlichen Rums ins Schloss. Mamma Cesare schob einen eisernen Riegel vor. «Nun sind wir hübsch unter uns», sagte sie. Mit den beiden Frauen – der kleinen, dunkelbraunen, gebeugten Mamma Cesare und der großen, bleichen, drallen Agathe – war der Vorraum zum Bersten voll. «Los, los!» Mamma Cesare wedelte mit den Händen, um Agathe wie eine widerspenstige Kuh über zwei weitere Treppen und durch zwei verglaste Schwingtüren mit abblätternder Farbe zu scheuchen. «Hier entlang. Hier entlang. Folge mir», sagte Mamma Cesare, aber der Durchgang war dunkel, sodass Agathe lieber langsamging und auf dem schmierigen, knarzenden Boden vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte.
    «Wohin gehen wir?», fragte sie.
    «Mädchen, stell dich nicht so an. Sieh her.» Mamma Cesare stieß unwirsch gegen eine Tür, die zu ihrer Rechten im Dunkel lag und die Agathe nicht gesehen hatte. Sie schwang auf und gab den Blick in den Goldenen Engel frei, erhellt nur von den Straßenlaternen der Schlossstraße. Die Tische waren geradegerückt, die Stühle waren hochgestellt und streckten die Beine in die Luft. Alles wartete auf den grimmigen Wischmopp.
    «Siehst du? Der Laden. Wir sind durch Seiteneingang gekommen, mehr nicht. Zufrieden? Du brauchst mehr

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