Die Liebeslotterie
Rippe zu Rippe kullerte und schließlich in ihrer Magengrube landete, um dort liegen zu bleiben. Es war sinnlos, nach Hause zu gehen, aber genauso sinnlos war es, nicht zu gehen. Als Agathe den Schlüssel der Schublade umdrehte, hörte sie sichsagen: «Zu Hause ist, wo man dich einlassen muss.» Großmutter hatte ihr das immer zum Trost gesagt – es war das beruhigende Versprechen, niemals abgewiesen zu werden. Nun klang es wie ein Gefängnisurteil, und Agathe sagte: «Was soll der blödige Unsinn?»
Nach Hause war es ein langer Weg. Nicht wie gestern Abend ein fröhlicher Spaziergang an einen fröhlichen Ort, eher ein langer, anstrengender Marsch durch heiße, staubige Straßen nach einem ermüdenden Arbeitstag. Sie hatte es nicht eilig. Ihre Füße taten weh, sie fühlte bei jedem Schritt einen brennenden, stechenden Schmerz, so als könne sich die Haut unter ihren Sohlen jeden Moment lösen.
Als sie den Delikatessenladen an der Ecke zur Aleksanderstraße erreichte, war Frau Oktar draußen auf dem Gehsteig, fegte erst den Boden zwischen den ausgestellten Obstkisten und wischte dann den Straßenstaub von den aufgehäuften Äpfeln. Sie hielt inne, um zu winken. Agathe winkte zurück.
Das schwarze Kätzchen, das Agathe am Vorabend um die Beine gestrichen war, schaute unter einer Orangenkiste hervor. «Gehört der Kater Ihnen?», fragte sie.
«Nein», sagte Frau Oktar. «Hier streunen immer Katzen herum. Sie vermehren sich. Sie liegen den ganzen Tag in den Hinterhöfen in der Sonne, und nachts machen sie Kätzchen. Kein schlechtes Leben, ich hätte nichts dagegen, es selbst auszuprobieren, aber ich habe Rechnungen zu bezahlen und für Streuner wie den da keinen geräucherten Lachs übrig.»
Agathe griff unter die Orangenkiste, zog das Kätzchen heraus, hielt es sich vors Gesicht und blies ihm vorsichtig ins Fell. «Der Kleine gefällt mir», sagte sie, «ich werde ihn mit nach Hause nehmen. Er braucht nichts weiter als ein bisschen Liebe.»
«So wie wir alle», sagte Frau Oktar, «und außerdem noch Milch, Flohpuder und etwas geräucherten Lachs.» Frau Oktar war wirklich eine wundervolle Verkäuferin, eine bemerkenswerte Verkäuferin, und wie die meisten von uns ein Opfer der Umstände. Denn obschon sie einen ausgezeichneten Delikatessenladen führte, war dieser eben nicht mehr als ein Delikatessenladen und hatte, so wie alle anderen Delikatessenläden auch, keinen Flohpuder im Angebot. «Die Milch hätte ich da und Räucherlachs auch, aber keinen Flohpuder. An Ihrer Stelle würde ich den Kater bis morgen hier lassen. Der läuft schon nicht weg.»
«Ich mag ihn aber», sagte Agathe, «ich werde ihn mit nach Hause nehmen. Verkaufen Sie mir nur das andere Zeug. Den Flohpuder hole ich morgen in der Stadt.»
«Das ist eine Dummheit, mein Mädchen, aber Sie haben es sich nun einmal in den Kopf gesetzt – und nicht nur in den Kopf. Frau Stopak, nehmen Sie einen weisen Rat an von einer Frau, die es wissen muss – Sie werden die Flöhe an Stellen wiederfinden, an die kein Mann darf, es sei denn, er heißt Herr Stopak. Wenn Sie morgen in der Stadt den Flohpuder für diesen Kater hier kaufen, dürfen Sie nicht vergessen, für sich selbst auch gleich welchen zu kaufen.»
Mit dem Handgelenk der Expertin schlenzte Frau Oktar Luft in eine braune Papiertüte und legte eine Milchtüte und in Papier gerollten Räucherlachs hinein. Der Kater wand sich lustvoll in Agathes Griff und kringelte sich an ihrer Brust, während sie beruhigend auf ihn einredete.
«Halt still jetzt, du böser, kleiner Kater. Warte ein paar Minuten ab.»
«Das macht vier fünfzig», sagte Frau Oktar und streckte die Hand aus. «Dafür gebe ich Ihnen eine Tüte gratis dazu,für die Katze. Kann ja nicht schaden, ein bisschen auf die Hygiene zu achten, oder?»
Agathe ließ den Kater in die Tüte plumpsen, woraufhin er ihr von unten einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Er hatte seine vier Wischmopppfoten in die Ecken gestemmt, wirkte aber ganz zufrieden, zumindest so lange, bis Agathe die Tüte an den Griffen packte und in die Luft hob. Nun fing er an, kläglich miauend auf dem nachgiebigen Boden seines Gefängnisses herumzuwanken. Agathe stützte die Papiertüte von unten mit der Hand ab, damit er festen Boden unter die Pfoten bekam. Sie blies vorsichtig in sein Fell, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. «Psch, psch, psch, keine Angst, kleines Kätzchen. Bald sind wir zu Hause.» Sogar durch das dicke Papier hindurch konnte sie seine warmen Pfoten
Weitere Kostenlose Bücher