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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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ein Matador sein Tuch. Plötzlich fühlte Agathe einen stechenden Neid auf diese Tauben. Sie hatten vielleicht kein frischgestrichenes Badezimmer, aber ihrer Erfahrung nach legten Tauben auf derlei Dinge ohnehin keinen Wert; dafür hatten sie einen Schlafplatz, wo sie willkommen waren und herzlich begrüßt wurden, wo es flatterhaften, tänzelnden, gurrenden Körperkontakt gab, wo sie ihre Jungen großziehen konnten und wo man sie, falls sie eines Abends nach einem Zusammenstoß mit einem Falken oder einem Müllwagen nicht nach Hause kämen, vermissen würde, und sei es nur für eine Nacht. Agathe seufzte. «Und was habe ich? Ein Kätzchen, das die Vorhänge anpinkelt!» Sie fühlte sich einsam und lächerlich. Sie sollte sich aus dem Haus schleichen, um einen reichen Liebhaber zu treffen, der sie zum Tanzen ausführt,ihr ein Steak bestellt und ihr heißblütigen Unsinn ins Ohr flüstert, anstatt   … anstatt   … anstatt was?
    «Anstatt an der Haltestelle auf die Tram zu warten, um zu einer alten Verrückten zu fahren, der ich heute Morgen zum ersten Mal begegnet bin.»
    Sie führte ein kleines Tänzchen auf und steppte durch das Wartehäuschen. «Zehn Minuten. Zehn Minuten! Ich gebe euch zehn Minuten. Ich zähle bis hundert, und falls bis dahin nichts passiert ist, werde ich nach Hause gehen!» Agathe tanzte und zählte: «Eins Elefant, zwei Elefant, drei Elefant   …» Als sie bei «einhundertdreiundsechzig» war, kam die Tram um die Ecke gebogen. Der einzelne Scheinwerfer glomm in der Dämmerung.
    Die Bahn näherte sich ächzend der Haltestelle, bremste, blieb stehen, ließ Agathe mit gelüpftem Kleid aufsteigen und klapperte über die Brücke davon.
    Agathe hatte den Waggon für sich allein. Sie saß mit sittsam zusammengepressten Knien da und hatte sich die Handtasche auf den Schoß gestellt. Der Schaffner fragte: «Alles klar, Schätzchen?», was Agathe widerlich fand. Sie hatte gewusst, dass er etwas Dummes sagen würde.
    Warum konnte er nicht einfach: «Guten Abend, wohin?», oder: «Was wünschen Sie, Fräulein?», sagen? Irgendetwas Höfliches, Unkompliziertes? Aber nein, es musste unbedingt: «Alles klar, Schätzchen?», sein, so als könnte dieser wagemutige Vorstoß in einer leeren Tram plötzlich ihre Libido entfesseln und sie veranlassen, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Sie bedachte den Schaffner mit einem eiskalten Blick, dem «Schrumpfer», und sagte: «Einmal zur Schlossstraße, bitte.»
    «Das macht   …»
    Aber Agathe fiel ihm ins Wort und hielt ihm mit der Mühelosigkeiteiner Zauberin einen Stapel Münzen auf der geöffneten Handfläche entgegen. «Ich denke, ich habe es passend», sagte sie bestimmt.
    Der Schaffner zog ein kurzes, grünes Billett aus der Maschine vor seinem Bauch und stellte sich auf die hintere Plattform. Von dort aus beobachtete er sie, während er lässig einen Arm über dem dahinfliegenden Asphalt baumeln ließ.
    Agathes Abscheu war bodenlos. Sie weigerte sich, ihn auch nur mit einem einzigen Blick zu belohnen. Die Bäume, in denen sie heute Morgen noch die Vögel beobachtet hatte, flogen jetzt als dunkle Schatten vorbei. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Werbetafeln, die über den Tramfenstern angebracht waren und jeweils von einer kleinen, milchigen Glühbirne getrennt wurden.
     
    Müde, gallig, ohne Schwung?
    Versuchen Sie es mit
    PEPTO-PILLEN!
     
    Daneben die Abbildung eines alten Mannes, der aus seinem Rollstuhl aufsprang, um Räder zu schlagen. Hinter ihm flog ein Krückstock durch die Luft. Dumm, dachte Agathe, albern. Wozu braucht ein Rollstuhlfahrer einen Krückstock? Ich meine, wozu soll der Stock gut sein, wenn man ohnehin den ganzen Tag herumgeschoben wird? Was der Kater wohl gerade anstellt. Ob er ins Bett pinkelt? Oder Schlimmeres? Das gäbe eine schöne Überraschung für Stopak.
    Und dann dachte sie: Wäre seit langem der erste feuchte Fleck im Bett, tat aber gleich, als hätte sie den Gedanken nie gehabt, denn er wäre wirklich zu vulgär und ekelhaft.
     
    Palazz Kinema. Jeden Donnerstag neues Programm.
    Doppelvorstellungen und Wochenschau.
    Telefon: Dot 2727
     
    Tja, das ist wenigstens sachbezogen. Man erfährt gleich, worum es geht. Ich war seit Ewigkeiten nicht im Kino. Vielleicht   …
     
    Nehmen Sie
    «ÄTHIOPIER»-SCHUHCREME
    und Ihre Schuhe werden glänzen wie ein Äthiopier!
     
    Das finde ich nicht sehr nett. Ich fände es nicht schön, wenn eine nette Afrikanerin in Äthiopien in der Tram sitzt und sich fragt, ob ihre

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