Die Liebeslotterie
hätte sein sollen, im Goldenen Engel und vielleicht sogar im Grünen Affen, wo er zu laut hätte lachen und ein bisschen zu viel hätte trinken sollen, umringt von seinen Freunden; er hätte händchenhaltend mit irgendeinem hübschen Mädchen in einer dunklen Nische sitzen und ignorieren sollen, dass sie von neuen Vorhängen und einem Hochzeitskleid träumt, während er plant, ihr am nächsten Morgen Blumen zu schicken und in der nächsten Woche mit ihrer Schwester auszugehen. So hätte er es machen sollen. Eigentlich hätte es ganze Jahrzehnte mit jungen Frauen geben müssen, Dutzende junger Frauen, die beim jährlichen Weihnachtsball nacheinander an seinem Arm hingen – eine Abfolge williger Opfer, die sich in seinen Laken verfingen. Oder sogar, man stelle es sich vor, eine bestimmte Frau, die kam und blieb und mit der es niemals langweilig wurde. Nur eine. Die Richtige. Die an den Handgelenken und Knöcheln und in der Taille zunahm, deren Hüften breiter wurden, die ihren vertrauten Abdruck in der Matratze hinterließ, die erblühte und reifte und Früchte ansetzte, wieder und wieder, bis im Haus lauter pummelige, rosige, aufgeweckte Kinder herumtobten. Damals wäre es richtig und natürlich gewesen, jetzt war es zu spät. Jetzt hatte er seine Chance verpasst. Nicht einmal die besten Gärtnervom Gartenbauamt waren in der Lage, im Oktober Narzissen zum Blühen zu bringen.
Jetzt hier zu sitzen, an diesem Ort und mit einer Frau wie Agathe Stopak, war Magie, es war ein Wunder. Und dennoch geschah es wirklich. Jetzt, wo der erste Frost schon um die Ecke schlich, nach einem langen, leeren Sommer, jetzt also saß er hier mit Agathe. Hätte er statt mit nur dreien mit einem Dutzend Frauen angeben können, das hätte etwas verrucht Halbseidenes gehabt, etwas Zigarrenqualmerisches, Schnurrbartzwirbeliges, oder eine Frau, die eine, richtige, das hätte etwas geradezu heldenhaft Romantisches; drei hingegen klang irgendwie jämmerlich und bemitleidenswert und langweilig – drei, die nicht geblieben waren, keinen Eindruck hinterlassen, kein Feuer entfacht hatten. Wenn Tibo jetzt an die drei zurückdachte, schämte er sich, denn jetzt, genauer gesagt, seit vierundzwanzig Stunden, wusste er, was es bedeutete zu lieben. Er liebte Agathe. Er war sehr in sie verliebt. Bei den Frauen davor war es eher wie eine Krankheit gewesen. Das wusste er. Und jetzt hatte er das Heilmittel gefunden.
Agathe beugte sich vor, hielt das Gesicht über den Teller, öffnete die Lippen und schob sich die weichen Spaghettischnüre in den Mund. Tibos Herz hüpfte.
«Verzeihung», sagte sie und tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab.
«Nein, nein. Ich habe dich angestarrt. Ich. Mein Fehler. Verzeihung.» Er konnte sich nicht losreißen.
«Nur eine», sagte sie, um das Schweigen zu brechen.
«Wie bitte?»
«Verrate mir eine einzige Sache über dich. Deinen zweiten Vornamen.»
«Ich habe keinen. Ich bin einfach nur Tibo Krovic.»
«Nein», widersprach Agathe entschieden, «du bist der ‹gute› Tibo Krovic. So wirst du genannt. Wusstest du das?»
«Ja. Irgendjemand hat es mir einmal erzählt. Eine ziemliche Last.»
«Mimi», sagte Agathe.
«Dein zweiter Vorname? Dein zweiter Vorname ist Mimi?»
«Meine Großmutter hieß so, kannst du das glauben? Ja, ich weiß, der Name ist lächerlich.»
«Ich finde ihn sehr hübsch», sagte Tibo.
«Der gute Tibo Krovic ist ein schlechter Lügner. Jetzt darfst du mich was fragen. Schieß los.»
Tibo dachte kurz nach und zupfte an einer knusprigen Brotscheibe herum, während er konzentriert zur Decke sah. «Na schön», sagte er, «verrate mir, was dich glücklich machen würde.»
«Das ist aber unfair! Ich frage nach dem zweiten Vornamen, und du fragst, was mich glücklich machen würde?»
«Verzeihung», sagte Tibo, «das geht zu weit. Du hast recht. Ich hätte nicht. Verzeihung.»
Agathe ließ die Gabel sinken. «Nein, nein. Die Frage ist gut. Ich stelle sie mir selbst, und ob du’s glaubst oder nicht, Tibo, ich weiß die Antwort nicht. Ich habe keine Ahnung. Dabei muss es doch irgendetwas geben. Irgendjemanden.»
«Du hast Stopak», sagte Tibo. Es klang mehr wie eine Frage.
«Nein», sagte Agathe. Mehr nicht.
Daraufhin betrachteten sie einander über den Tisch hinweg. So viele Hinweise, Warnungen, Wünsche, Bitten und Aufforderungen in ihren Blicken, unausgesprochen und doch verstanden, zur Hälfte geglaubt und zur Hälfte eingebildet.
«Nein», sagte Tibo.
«Nein.» Agathe griff wieder
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