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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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unnütze, alberne Dinge.»
    Genauso wenig antwortete Frau Agathe Stopak: «Wenn du wüsstest, was für einen Schlüpfer ich gerade trage. Ziemlichkeck. Ziemlich mädchenhaft. Geradezu lächerlich. Kannst du dir vorstellen, welche Sorte Frau diese Schlüpfer normalerweise trägt? Hoffentlich komme ich auf dem Heimweg nicht unter die Tram. Gott weiß, was man im Krankenhaus über mich denken würde!»
    «Ja, einen neuen Anzug», sagte Tibo. «Außerdem dachte ich mir, ich sehe mir am Sonntag die Blaskapelle im Kopernikuspark an.»
    «Am Sonntag?»
    «Ja, am Sonntag um ein Uhr.»
    «Um eins?»
    «Im Kopernikuspark um ein Uhr», wiederholte Tibo mit Nachdruck. «Es ist die letzte Vorstellung des Jahres. Mir kommt es so vor wie das Ende des Sommers. Die Schwalben ziehen fort, die Kraniche fliegen gen Süden, die Wildgänse verlassen den Ampersand.»
    Agathe lachte. «Und die Feuerwehrkapelle packt die Euphonien ein! Komm, Bürgermeister Krovic, du hast mir einen Kaffee versprochen!» Und sie fing zu rennen an, sie klapperte über die Weiße Brücke. Noch bevor sie den Rathausplatz erreicht hatte, rannte Tibo ebenfalls.
    Bürgermeister Krovic betrachtete jenen Nachmittag im Büro als den ersten seines Lebens. So ist die Liebe – sie verleiht allem einen neuen Geschmack, sie malt alles neu an. Der Kaffee aus der alten Kaffeekanne, die seit Menschengedenken auf ihrem Platz neben der Tür vor sich hin gekleckert und gehustet und gekleckst hatte, war anders als jeder Kaffee, den Tibo jemals getrunken hatte. Zum einen hatte er ihn eigenhändig zubereitet – zum ersten Mal kochte er im Rathaus Kaffee   –, während Agathe an ihrem Platz saß und laut lachend beobachtete, wie er nach der Kaffeedose suchte, die Löffelverlegte und Zucker auf dem Fußboden verstreute. Aber als er ihr schließlich die Tasse reichte, lächelte sie ihn anmutig an und ließ ihre Finger viel länger über seine gleiten, als eigentlich nötig gewesen wäre, um die Untertasse von einer Hand in die andere wechseln zu lassen.
    Und dann redeten sie weiter, fröhlicher diesmal, über das Leben, von dem sie träumten – am Ufer eines warmen, weindunklen Meeres; nicht in der Gesellschaft Tausender Leute, die alle nicht wussten, wie viel Zucker man in den Kaffee nahm, sondern mit nur einem Menschen, der das wusste. Was aber egal wäre, denn es gäbe ohnehin nur Wein zu trinken.
    Die Bruchstücke der Wahrheit kamen in Andeutungen und Halbsätzen heraus, und dazwischen unterhielten sie sich über das Wochenprogramm des Palazz Kinema und wie köstlich der Rosinenkuchen von Agathes Großmutter gewesen war und dass es solchen Kuchen heutzutage nicht mehr gab, nicht für alles Geld der Welt, und wie es gewesen ist, im Alter von neun Jahren auf dem Pier zu sitzen und zu angeln und Krebse in eine Schachtel zu stecken, damit sie die Mutter mitten in der Nacht mit ihrem Gerappel und Geklapper zu Tode erschreckten, oder wie entsetzlich es ist, allein und ohne Liebe zu sein, und wie seltsam, dass Granatäpfel nur wenige Wochen im Jahr erhältlich sind.
    Draußen schlugen die Glocken der Kathedrale wieder. Und noch einmal. Am Himmel zeigten sich die ersten Kratzer.
    «Wir sollten arbeiten», sagte Tibo.
    «Ja, das sollten wir», sagte Agathe.
    «Ich habe viel zu erledigen», sagte Tibo.
    «Ich auch.»
    «Ja.»
    «Nimm die letzte Tasse, wenn du möchtest.»
    «Ja, danke. Das mache ich.»
    Tibo ging rückwärts in sein Arbeitszimmer, während er sich seinen Kaffee an die Lippen hielt und Agathe über den Tassenrand beobachtete. Er ging rückwärts und sah ihr direkt in die Augen, bis er in seinem Zimmer verschwunden war, wo der Teppich dick und Tibo ganz plötzlich allein war. «Ich muss jetzt wirklich arbeiten», rief er.
    «Ich auch», sagte Agathe.
    «Nein, im Ernst.» Tibo setzte sich an den Schreibtisch, nahm sich eine von Agathes roten Aktenmappen vor, klappte sie auf und starrte gedankenverloren hinein. Sein Verstand war ganz und gar mit Agathe ausgelastet, da war kein Raum für städtische Angelegenheiten.
    «Bestehen wir auf der Einhaltung der Höhenbeschränkung für Grabsteine?», fragte er laut. «Neue Vorschriften für Gedenksteine und so weiter. Wird dem Parkkomitee am Dienstag vorgelegt. Alle Unterlagen liegen in der Mappe.» Auf der anderen Seite der Tür konnte man Agathe keuchen und stöhnen hören und dazu ein Klappern und Lärmen; Stühle scharrten über den Boden, Möbel wurden bewegt.
    Tibo stand auf, um nachzusehen. «Was tust du da drüben?» Er

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