Die Liebeslotterie
ostentativer Zurückhaltung.
Der gute Tibo Krovic war lange genug Bürgermeister von Dot gewesen, um zu wissen, dass solche Fragen von entscheidender Bedeutung waren und dass er sich, selbst, als er einen geeigneten Platz gefunden hatte, nicht einfach hinsetzen konnte, ohne vorher gesehen worden zu sein, ohne vorher ein paar Leute angelächelt und gegrüßt zu haben, deren Namenihm kurzzeitig entfallen waren. Und ganz bestimmt musste er einigen Lokalgrößen im Publikum die Hand schütteln: Tomazek, dem Präsidenten des Lebensmittelverbandes – «Und das muss Ihre Frau Schwester sein. Wie geht es Ihnen? Oh, Sie sind die Mutter? Frau Tomazek, das kann ich nicht glauben!»; Gorvic, dem Stadtschreiber, und «Frau Gorvic, es ist mir wie immer eine Freude»; und natürlich Svennson, dem Feuerwehrhauptmann: «Eine prächtige Mannschaft haben Sie da, Svennson. Der Stolz unserer Stadt!» Und erst, nachdem Tibo mit diesem Unsinn fertig war, sich umgedreht hatte und sich auf dem eisernen Klappstuhl mit der hölzernen Sitzfläche niederlassen wollte – in der dritten Reihe, einer Reihe, in der der Bürgermeister sich problemlos zeigen konnte –, erst da entdeckte er Agathe, die auf dem Kiesweg direkt vor der Bühne stand, vor jedermanns Augen. Sie trug den flaschengrünen Mantel, hielt die Handtasche mit beiden Händen vor dem Körper und wartete höflich darauf, dass er fertig wäre.
«Agathe.» Als er ihren Namen sagte, klang ein kleines Lächeln mit. «Ich hätte nicht gedacht … nun ja. Wie nett!» Und schon begann Tibo, sich unter gemurmelten Entschuldigungen aus der Sitzreihe zu schieben. Tibo ging nach vorn und trat zu Agathe auf den Kies. Er nahm ihre Hand, nicht so wie die von Svennson und nicht einmal so wie die von Frau Gorvic, die er mit geöffneter Handfläche und nach oben gerichtetem Daumen ergriffen und fest, nüchtern und männlich gedrückt hatte. Als er Agathe die Hand reichte, zeigten seine Finger nach unten auf den Kiesboden; Agathe nahm sie an, indem sie die ihre hineingleiten ließ, und so standen sie Seite an Seite und mit aneinandergelegten Handflächen in der ersten Reihe.
«Wir sollten uns einen Sitzplatz suchen», sagte Tibo. «Das Konzert beginnt gleich.»
«Es ist voll», sagte Agathe. «Vielleicht solltest du zu deinem Platz zurückgehen und dich setzen. Ich glaube nicht, dass wir zwei Plätze nebeneinander finden werden. Es tut mir leid. Ich bin viel zu spät. Ich bin nicht aus dem Haus gekommen, und dann hat die Tram ewig gebraucht, und als ich hier ankam, konnte ich dich wegen der vielen Leute nicht sofort finden.»
«Ach, sei nicht albern. Wir werden schon etwas finden. Lass uns auf der anderen Seite nachsehen.»
Der Bürgermeister Krovic vom Vortag, derjenige, der in der Albrechtstraße erstarrt und ins Stocken geraten war, hätte so etwas nie gesagt, oder wenigstens hätte er Agathes Hand losgelassen, bevor er sich auf dem Kiesweg vor der Bühne in Gang setzte. Aber heute war Bürgermeister Krovic ein anderer, er hatte einen ganzen Abend lang ins Kaminfeuer gestarrt und sich für seine Dummheit verflucht und die halbe Nacht damit verbracht, vor einem dämonischen Taxi zu fliehen und sich in Agathe Stopaks milchweißen, einladenden Schenkeln zu verfangen. Ja, und dennoch fühlte Tibo sich wie ein Bulle in der Arena. Jedes Gesicht im Park war der Bühne zugewandt, und für Hunderte von Zuschauern gab es nichts Wichtigeres als Bürgermeister Tibo Krovic, der Hand in Hand mit – wer war diese Frau? Ganz hübsch war sie, oder? Nein? Auf keinen Fall? Tibo spürte, wie Agathe seine Hand fest umklammerte, und sie machte einen kleinen Hüpfer, um mit ihm in Gleichschritt zu kommen.
Sie erreichten die Südseite der Bühne, wo Yemko Guillaume einen Großteil der ersten Reihe besetzt hielt. Tibos Sohlen schlingerten über den Kies, als er abrupt stehen blieb. Er wollte sich umdrehen und weglaufen, aber als er über seine Schulter sah, musste er feststellen, dass die ersten Musiker der Feuerwehrkapelle bereits ihre Plätze einnahmen.
Er warf Yemko einen panischen Blick zu und wusste, es war zu spät zum Weglaufen. Der Anwalt saß auf einer dicken Holzplanke, die er über die komplette Stuhlreihe gelegt hatte. Nicht, dass er breit genug war, um sieben Plätze zu füllen, er war lediglich schwer genug, um achtundzwanzig Stuhlbeine zu brauchen. Obwohl sein Gewicht durch die Planke verteilt wurde, bog diese sich durch und drückte die Stuhlbeine in den Boden. Als Yemko die Hand zum Gruß
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