Die Liebesluege
Verlegenheit, zugleich kam sie sich unendlich prüde und vorgestrig vor.
»Du wirst dich daran gewöhnen müssen«, erklärte Charly energisch. »Kommst du nun mit oder möchtest du vorm Badezimmer warten, bis du es für dich alleine hast?«
»Es schneit noch immer.«
»Na und?«
»Findest du es draußen nicht gruselig? Ich meine, es ist Nacht und so.«
»Es gibt keine Gespenster.«
»Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich mir das Monster vorstelle … ein Wesen aus lauter Leichenteilen und Tierkadaver, die nicht zusammenpassen. Es muss furchtbar ausgesehen haben.«
»Klar, deshalb heißt es ja auch Monster. Kommst du?«
Der Schneefall war jetzt so stark, dass die Spuren zum Haus der Jungen nur noch zu erahnen waren. Dazu heulte und jammerte der Wind, er trieb ihnen die Flocken in die Augen, sodass sie sie zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen mussten. Sie folgten den Lichtern, die die Wege säumten, gingen an der Turnhalle vorbei und tasteten sich auf tückisch im Weiß verborgenen Stufen bergauf, bis sie ebenes Gelände erreichten und durch den dichten Flockenwirbel hindurch die Umrisse eines kleinen Gebäudes zwischen Bäumen und niederem Gehölz mehr ahnten als sahen.
»Es ist tatsächlich verdammt gruselig«, flüsterte Charly. »Mir kommt es jetzt auch so vor, als lauere Frankensteins
Monster hinter den Bäumen und würde sich in der nächsten Sekunde auf uns stürzen!«
»Charly, jetzt fang du nicht auch noch an! Du bist die Mutigere von uns beiden!« Vor Nervosität hätte Elena beinahe gekichert. Sie nahm sich zusammen und tastete nach der Klinke. »Die Hütte ist bestimmt abgeschlossen.«
Zu ihrem Erstaunen ließ sich die Tür geräuschlos öffnen. Feuchtkalte, abgestandene Luft schlug ihnen entgegen und ein Geruch nach … was war das nur?
»Hier hat jemand geraucht.«
Charly richtete die Taschenlampe ins stockfinstere Innere. »Kommst du?«
Der Pavillon war achteckig, stellten sie fest, und hatte in jedem holzverkleideten Segment ein Fenster. Bis auf einige Kisten - der Boden zeigte nach oben und diente als Sitzfläche - war er vollständig leer. Allerdings standen auf einer der Kisten ein Kerzenständer samt Kerze mit heruntergetropftem Wachs und ein Aschenbecher voller Kippen. In diesem lag eine noch glimmende Zigarette.
»Hast du Fußspuren im Schnee gesehen?«
Elena schüttelte den Kopf.
»Komisch«, stellte Charly fest und beäugte den Ascheanteil der Zigarette. »Gerade hat hier noch jemand geraucht und ist so überstürzt abgehauen, dass er nicht mal die Zigarette ausgedrückt hat. Die Person hat nur die Kerze ausgeblasen; fühl mal, das Wachs um den Docht ist noch ganz weich.«
Elena hob die Schultern. »Mir gruselt. Lass uns -«
Ein Windstoß wirbelte Schnee herein und ließ die an einer Kette hängende Lampe tanzen.
Charly zuckte nervös zusammen. »Ich wette, wir haben den Geist von Frankensteins Monster bei einem gemütlichen Zigarettenpäuschen überrascht.«
»Komm endlich«, drängte Elena. »Ich hab echt Angst, und allein will ich nicht zurück.«
»Ehrlich gesagt ist mir auch nicht wohl in meiner Gänsehaut.« Charly knipste den Schalter aus und machte die Tür zu.
Ihre Spuren waren kaum noch zu erkennen. Als sie zum Hauptgebäude zurückhasteten, hatte der Sturm und Schneefall an Stärke zugenommen.
»Glaubst du an Geister und Gespenster?«, fragte Charly, als sie das hell erleuchtete Gebäude vor sich sahen.
»Gerade eben habe ich daran geglaubt«, gestand Elena. »Jedenfalls kann ich mir die glimmende Zigarette nicht anders erklären. Es sei denn …« Sie blieb stehen.
»Es sei denn?«, wiederholte Charly.
»Wir hätten prüfen müssen, ob ein Fenster nur angelehnt war.« Sie rief sich den Pavillon ins Gedächtnis zurück.
»Du meinst, jemand ist schnell aus einem Fenster geklettert, als er uns hörte?« Charly runzelte die Stirn. »Die Person muss verdammt flink und geistesgegenwärtig gewesen sein. Und sie muss ein rabenschwarzes Gewissen gehabt haben. Wie ein Mörder, der erst nach der Tat kapiert, welches Verbrechen er begangen hat und dass er es nicht rückgängig machen kann.« Inzwischen standen sie vor dem Eingang zu Villa Rosa, wo Charly den Schnee von Elenas und ihrem Mantel klopfte. »Du zitterst ja! Ist dir schlecht? Du bist ganz weiß im Gesicht.«
»Es … es ist nichts. Mich friert«, flüsterte Elena, floh geradezu ins Haus und rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch und in ihr Zimmer. Ich hab’s ja gewusst, dachte
Weitere Kostenlose Bücher