Die Liebesluege
die Stirn. »Gut, dass du mich sofort auf das kleine Problem hinweist, bevor es zu einem größeren geworden ist. Was schlägst du vor?«
Wieder zögerte Charly keinen Augenblick. »Zuerst dachte ich, ich könne ihr von meinem Geld einen Pulli und eine anständige Jeans kaufen. Aber als wir unsere Koffer ausgepackt haben, habe ich gesehen, dass auch ihre Sportkleidung nicht … nicht das Gelbe vom Ei ist, und wahrscheinlich braucht sie noch viel mehr. Vielleicht gibt es einen Fonds, aus dem Sie etwas abzweigen können, um Problemfällen zu helfen? Oder könnten Sie Elenas Vater schreiben, dass es mit den Schulgebühren allein nicht getan ist?«
Professor Mori hob anerkennend die Augenbrauen. »Mir gefallen deine Vorschläge, und auch, dass du deiner neuen Klassenkameradin helfen möchtest. Ja, was können wir tun?«
Sie ging einige Schritte hin und her. »Wie lösen wir das Problem?«
Plötzlich blieb sie stehen. »Falsch. Ganz falsch. Die Frage muss lauten: Warum kommt Elena nicht selbst und bittet um Unterstützung?«
»Ich weiß, warum sie das nicht tun wird«, entgegnete Charly sofort. »Ihr Vater hat sie schon immer so kurzgehalten, sodass es ihr schließlich nichts mehr ausmachte, als Vogelscheuche herumzulaufen. Ich verstehe allerdings nicht,
weshalb er dann ausgerechnet Villa Rosa für sie ausgesucht hat.«
Professor Mori machte schwungvoll kehrt - sie hatte das Hin- und Hergehen wieder aufgenommen - und notierte sich etwas. »Ich werde mich darum kümmern. Gute Nacht, Carla.«
»So nennt mich niemand. Ich heiße Charly.«
»Gute Nacht, Charly. Ach, noch etwas: Solltet ihr Schwierigkeiten mit Swetlana und Valerie bekommen, bitte ich dich -«
»Ich petze nicht!«
»- bitte ich dich, entschieden zu handeln. Wie, das bleibt dir überlassen. Solltest du allerdings Hilfe benötigen, zögere nicht, wie soeben zu mir zu kommen.«
»In Ordnung. Ich nehme an, Sie petzen auch nicht? Ich meine, Sie sagen mir nicht, was Swetty und Val getan haben? Nein? Hab ich mir gedacht. Gute Nacht, Professor Mori.«
Zuerst wollte Elena in der Halle auf Charly warten, aber als sie die neugierigen Blicke und das Tuscheln nicht mehr aushielt, rannte sie in ihr Zimmer. Dort zog sie den Pulli über den Kopf und schleuderte ihn in eine Ecke. Sie hatte befürchtet, dass sie die Rolle des Losers spielen würde! Gab es denn keinen Ausweg, keine Hoffnung auf Besserung, niemanden, den sie anpumpen könnte? Elena schluchzte auf. Mist! Sie riss die Schranktür auf. Verdammt, der graue Pulli war von allen noch der beste! Das Handy, wo war ihr Handy?
In ihrer Verzweiflung rief sie die eingespeicherte Nummer ihrer Eltern auf, stellte aber die Verbindung dann doch nicht her. Hat keinen Sinn, dachte sie mutlos, mich kurzzuhalten ist Teil der Strafe.
Sie zog den Pulli wieder an, verließ das Zimmer, überquerte den Flur, betrat das Badezimmer und starrte in den Spiegel: Brillen- und nachts Zahnspangenträgerin, schlechter Haarschnitt, scheußliche Kleidung …
Sie schrak zusammen, als Mia und Victoria, beide in flauschigen Bademänteln, hereinkamen. Sie grüßten kurz, hängten ihre Mäntel an einen Haken und duschten sich.
Elena floh: Ihre Eltern gehörten zur verklemmten Sorte; sie hatten sich ihren Töchtern nie nackt gezeigt, und wenn Elena duschte oder in der Badewanne lag, kam nicht mal ihre Schwester herein. Jetzt sollte sie sich vor fremden Mitschülerinnen nackt präsentieren? Undenkbar! Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr schon kalt. Sie nahm sich vor, den Wecker auf fünf Uhr zu stellen, damit sie ohne Zuschauer duschen konnte.
Als sie ins Zimmer zurückkehrte, wartete Charly bereits in Mantel und Stiefeln und schwenkte die Taschenlampe. »Was du heute kannst besorgen … Elena, wir sehen uns den geheimnisvollen Pavillon an.«
»Du Charly«, platzte Elena heraus. »Die Mädchen stellen sich einfach so unter die Dusche.«
»Du meinst - nackt?« Charly lachte. »Na und? Das ist doch normal. Oder willst du etwa den Badeanzug anziehen?«
»Das natürlich nicht, aber ich bin das nicht gewöhnt.« »Warst du nie in einem Sportverein? Bei mir im Sk… Sportverein haben wir uns nach dem Training immer gemeinsam geduscht.«
»War dir das nicht peinlich?«
»Man gewöhnt sich daran. Jede hat schließlich zwei Arme, zwei Beine, einen Bauch und Po. Und wenn ich
dich so ansehe, bist du zwar ein bisschen gepolstert, aber du brauchst dich wegen deiner Figur nicht zu schämen.«
»Darum geht’s mir nicht.« Elena wand sich vor
Weitere Kostenlose Bücher