Die Liebesluege
sie denn auch, sobald sie in ihrem Zimmer waren. »Besser, ich geh mal.«
Ihre Joggingschuhe waren im Schuhraum; sie wechselte nur die Hose und nahm den Anorak aus dem Schrank.
Auf dem Weg zur Halle war sie noch sehr leidend, aber dann, als sie den Waldrand erreicht hatte, spurtete sie los und stieß bald auf einen sehr schmalen, von Fußgängern offensichtlich wenig benutzten Pfad, dem sie folgte, denn sie wollte nicht gesehen werden. Das Laufen tat gut!
Elena war ausgesprochen unglücklich.
Blöder Sonntag! An einem Werktag hätte sie tausend Entschuldigungen gehabt und abertausend Ausflüchte gefunden: Unterricht, Hausaufgaben, Sport … Der Brief lag ihr schwer auf der Seele, und dass sie jetzt schon drei Punkte zu klären hatte, machte die Sache auch nicht leichter: der Dank fürs Geld, die Frage der Osterferien und die Wolle. Die Wolle war das Schlimmste von allem; ob ihr Vater oder ihre Mutter die geschickt hatte? Ihrem Vater traute sie eine so indirekte Handlung eigentlich nicht zu; der schleuderte einem die Meinung an den Kopf, und das war’s. Aber ihrer Mutter war die Sendung zuzutrauen. Elena schossen die Tränen in die Augen: Dass die sich damals so total hinter ihren Vater gestellt und für Elena nicht das kleinste bisschen Verständnis gehabt hatte - was man von einer Mutter doch erwarten konnte -, hatte ihr bei dem ganzen Schlamassel am meisten wehgetan.
Es klopfte, und Mia streckte den Kopf ins Zimmer. »Kannst du mir mal kurz eine Briefmarke borgen? Meine sind ausgegangen … Aber hallo! Weinst du, oder sind’s immer noch die neuen Linsen? Deine Augen tränen.«
»Sie sind ein bisschen entzündet.« Elena blinzelte. Verdammt, warum war es hier auch so hell! »Und wie immer hab ich kein Taschentuch. Und eine Briefmarke leider auch nicht.«
»Klar. Wer schreibt heute noch Briefe? Aber meine Großmutter hat in ein paar Tagen Geburtstag; sie erwartet von ihrer Enkelin etwas Persönlicheres als nur eine Mail.« Mia lachte. »Ich versuch’s mal bei Lana und Val.« Die Tür ging wieder zu.
Dieser verdammte Brief … Professor Mori würde sie damit nerven ohne Ende. Am besten wär’s natürlich, sie würde sofort -
Es klopfte. »Max!«
Hatte man denn nicht mal drei Sekunden Ruhe hier?
»Was ich dich fragen wollte«, Max schaute sie forschend an, »gehst du heute Mittag mit mir nach Montreux? Wir könnten deinen Brief einwerfen.«
Na wunderbar. Und was war, wenn sie Stefan in die Arme liefen?
»Oder hast du schon was anderes vor?« Max runzelte ungeduldig die Stirn.
Obwohl Stefan, der geheimnisvolle Porschefahrer, in ihrem Kopf herumspukte, war etwas in Max’ Stimme, das ihr Herz schneller schlagen ließ.
»Hast du eine Freundin?« Wo kam das denn jetzt her? Was für eine blöde, bescheuerte, total unnötige Frage.
Max grinste. »Nö. Möchtest du noch etwas über mein Privatleben wissen?«
»Kein Bedarf«, konterte sie. »Und überhaupt weiß ich nicht, ob ich mit dir nach Montreux gehen will. Ich überleg es mir noch.«
»Aber Hallo!« Charly platzte ins Zimmer. »Ich störe. Sorry. Bin schon weg.« Sie nahm ihren Bademantel vom Haken. »Muss sowieso kurz duschen.«
Max verdrehte die Augen. »Typisch Internat. Man ist nie allein, immer wird man im entscheidenden Augenblick gestört.«
Er räusperte sich und trat ans Fenster. »Komm schon; wäre doch besser, als hier den Nachmittag zu vergammeln.«
Besonders charmant war die Einladung ja nicht, aber weil das Treffen mit Stefan so ungewiss war, sagte sie schließlich zu.
»Fein. Dann schreibst du jetzt die paar Zeilen und hast einen Grund, nach Montreux zu gehen.« Er steckte die
Hände in die Hosentaschen und ging pfeifend aus dem Zimmer.
Elena setzte sich an ihren Schreibtisch, riss ein Blatt von einem Block - zu Hause hatte sie an Briefpapier mit keinem einzigen Gedanken gedacht - und schrieb kurz entschlossen.
Die Sache mit dem Wollknäulchen ließ sie weg; dafür fand sie einfach nicht die richtigen Worte.
Sie schrieb dann noch:
darunter, faltete das Blatt zusammen und nahm sich vor, Charly um einen Umschlag und eine Marke zu bitten.
So kam es, dass sie nach dem Mittagessen mit Max nach Montreux hinunterging, obwohl es regnete.
Sie hoffte und fürchtete zugleich, Stefan zu begegnen. In der Fußgängerzone schaute sie sich immer wieder um oder
einem Mann hinterher, bis Max schließlich ungehalten fragte: »Sag mal, suchst du jemanden?«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie hatte Stefan aber doch gesehen! Obwohl es erst
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