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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sissi Flegel
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hatte er sein Licht untern Scheffel, den Freund dagegen
aufs Dichterpodest gestellt und damit bezweckt, was er, so vermutete Charly, erreichen wollte: Gordon hatte Blut geleckt. »Ich könnte euch etwas aus ›Frankenstein‹ vorlesen.«
    »Wenn es eine richtig saftige Gänsehautszene ist, voller Horror und Grusel, hab ich nichts dagegen. Whisky mag ich nicht, aber dein Ambrosia …«, Charly lächelte Poldy an, »das würde ich schon mal gerne kosten.« Poldy war eine Herausforderung und das Meeting im Pavillon gefährlich; gut, das peppte den verregneten Sonntag wenigstens auf. Munter schritt sie hinter den beiden die Staffel hinauf.
    Der Park von Villa Rosa lag wie ausgestorben da. »Geht ihr schon mal voraus. Gordy, ich bring dir den Frankenstein mit.« Poldy eilte zum Haus Shelley, drehte sich aber nach wenigen Schritten um, wie um zu sehen, ob Charly ihren Schirm zuklappen und bei Gordon Schutz suchen würde.
    Was für ein misstrauischer Kerl! Wenn sie es auf seinen Freund abgesehen hätte, würde sie’s doch nicht so offensichtlich und wie auf Knopfdruck zeigen, dachte Charly stirnrunzelnd.
    Aufgeweicht und glitschig war der Weg, Nebelfetzen zogen durchs Gebüsch, von den Bäumen tropfte das Wasser, und obwohl es erst kurz vor fünf Uhr war, war es an dem trüben Tag schon reichlich dämmrig.
    Wieder schlug ihr die feuchte Luft entgegen, als Gordon die Tür des Pavillons öffnete. Er holte ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete die einsame Kerze auf dem Obstkistchen an.
    »Kommt ihr hierher, um zu rauchen?«, erkundigte sich Charly. »Ich frage mich nämlich, wer ›die Raucher‹ sind.«
    »Wir und andere.« Gordon zog eine Kiste heran und bedeutete Charly, sich zu setzen. Er ließ sich ihr gegenüber
nieder, steckte eine Zigarette in den Mund und legte die Packung neben die Kerze. Sie schwiegen. Der Regen trommelte aufs Dach, hier und da klopfte ein Zweig an eins der acht Fenster des Pavillons, die Kerze flackerte leicht.
    Obwohl Charly darauf gefasst war, erschrak sie doch, als ein bleiches Gesicht am Fenster erschien. Poldy! »Da bin ich!« Fröhlich schüttelte Poldy die Tropfen von der Jacke und zippte den Reißverschluss auf. »Hier!« Er stellte einen Marillenlikör auf die Kiste. »Und hier!« Das war der Whisky. »Und hier! Drei Becher aus edelstem Plastik sowie dein Buch, Gordy.«
    »Hast du die Tür zugemacht? Und hast niemand gesehen?« Poldy schüttelte den Kopf, griff zum Likör und goss Charly großzügig ein. Auch seinen und Gordons Becher füllte er bis zum Rand, hob dann ein fünftes Kistchen an und stellte die Flaschen darunter. »Wir sind bereit.«
    Charly grinste und zog die Jacke enger um den Körper. Was für eine irre Szene , dachte sie. Wie schade, dass Elena nicht dabei war! Hier saßen sie bei müdem Kerzenschein und verbotenem Alkohol auf blöden Kisten, bereit, einem Vorleser zu lauschen. Wie romantisch aber auch! Kein Mensch würde ihr das abnehmen, sie würd’s ja auch nicht glauben, wenn sie nicht selbst hier säße.
    Gordon nahm einen kräftigen Schluck, strich mit der flachen Hand zärtlich über das zerlesene Buch und öffnete es langsam.

    »In einer düsteren Märznacht war es so weit «, begann er mit leiser Stimme.
    »Vor meinen Augen lag das Ergebnis all meiner Mühe und Plage … Der Regen tropfte in trostlosem Gleichmaß gegen die Scheiben, und meine Kerze war schon zu einem Stümpfchen
heruntergebrannt, als ich in dem Geflacker der schon erlöschenden Flamme das ausdruckslose, gelbliche Auge der Kreatur sich auftun sah. Ein schwerer Atemzug hob ihre Brust, und ein krampfhaftes Zucken durchlief ihre Glieder.
    Allmächtiger! Die gelbliche Haut verdeckte nur notdürftig das Spiel der Muskeln und das Pulsieren der Adern … Dazu kamen die wässrigen Augen, welche nahezu von derselben Farbe schienen wie die schmutzig weißen Höhlen, darein sie gebettet waren, sowie das runzlige Antlitz und die schwarzen, aller Modellierung entbehrenden Lippen …«

    Gordon ließ das Buch sinken. »Gruslig genug?«
    »Nicht schlecht.« Charly nippte am Likör. Der Regen - wie hieß es bei Mary Shelley? - tropfte in trostlosem Gleichmaß gegen die Scheiben. Das stimmte; das Tropfen war einschläfernd und nervig zugleich. Wenn ein Windstoß um den Pavillon fegte, klirrten die Scheiben, und natürlich jammerten die Äste!
    Charly sah, dass die beiden sie beobachteten. »Schon genug? Warum liest du nicht weiter?«

    Gordon blätterte.

    »… Rings um mich schien sich eine

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