Die Liebesluege
gedacht, blöd, dass der eingetreten ist.«
Sie machte das Handy aus. »Das hat mir gerade noch gefehlt«, knurrte sie und erklärte unaufgefordert, dass sie ein Medikament mitgenommen habe und aus Versehen ihrem Vater nichts davon gesagt habe.
»Ich bin nicht neugierig.« Elena lächelte sie an.
Charly griff wieder nach dem Handy. »Oho, ich hab eine SMS!«
Ihre Freundin aus Zermatt teilte ihr mit, sie habe die bewussten Gegenstände aus dem Keller geholt und günstig verkauft. Sie danke und wünsche alles Gute.
Das gute Ende eines sehr gemischten Tages, dachte Charly und löschte sorgfältig die Nachricht.
Sie sah, dass auch Elena auf ihr Handy schaute und nach Luft schnappte.
»Nicht, dass ich neugierig bin, Elena. Aber du guckst so komisch. Ist was?«
»Ja. Ich weiß nicht. Vielleicht.« Sie reichte Charly das Handy.
Hi, WER WAR DER JUNGE? VERGISS NICHT: MITTWOCH; PROMENADE, TRACHYCARPUS FORTUNEI? STEFAN
»Wer bitte schön ist Stefan? Ich kapiere gar nichts.«
Obwohl auch Charly versicherte, nicht neugierig zu sein, berichtete Elena, dass sie und Max heute ganz zufällig dem roten Porschefahrer begegnet waren.
»Ganz zufällig. Man kennt das. Und du kennst sogar seinen Namen? Hat er ihn dir verraten, obwohl du mit Max unterwegs warst? Ich fass es nicht!«
Jetzt rückte Elena mit der ganzen Geschichte heraus. Charly starrte ihre Freundin an.
»Was wirst du tun?«
Elena schluckte. »Wenn ich das nur wüsste.«
»Schade. Hast die Gelegenheit verpasst, heute mit ihm einen Kaffee zu trinken. Weißt du eigentlich, wo du ihn nächsten Mittwoch treffen sollst?«
Elena erklärte, dass entlang der Uferpromenade seltene Bäume wüchsen, deren Namen man den daran angebrachten Schildern entnehmen könne. »Ein Trachycarpus ist eine Palme; ihr Ursprungsland ist Japan.«
»Clevere Idee; für Nichteingeweihte ist die Message unverständlich. Der Typ scheint mit allen Wassern gewaschen zu sein; sieht aus wie Craig und handelt wie Bond. James Bond. Was ist eigentlich mit Max? Magst du ihn?«
»Er ist nett.«
»Ist das alles?« Charly lachte. »Das ist nicht genug. Mag er dich?«
»Könnte sein«, gestand Elena.
»Du bist mir eine! Bist erst eine Woche in Villa Rosa und hast schon zwei Verehrer.«
»Max denkt, ich hätte ihn angelogen«, gestand Elena.
»Und? Hast du?«
Elena zögerte. »Nein. Eigentlich nicht.«
»Mensch, Elena …« Charly suchte nach Worten. »Pass auf, dass du es dir nicht mit beiden verdirbst.«
Die beiden hatten keine gute Nacht. Jede tat zwar so, als ob sie schliefe, als Mademoiselle Cugat gegen elf Uhr die Runde machte, sie wälzten sich aber noch lange danach in ihrem Bett von einer Seite auf die andere.
Charly ließ die Erscheinung vorm Pavillonfenster nicht schlafen; sie war so grauenhaft gewesen, dass ihr noch jetzt der Angstschweiß ausbrach, wenn sie nur daran dachte. Und dazu die gruslige Geschichte, die Gordon vorgelesen hatte!
Wenn sie jetzt in der Dunkelheit darüber nachgrübelte, wäre es ihr recht gewesen, hätte Poldy die Lesung und die Erscheinung vorm Fenster geplant. Natürlich gab es keine
Geister und keine Gespenster, und die Story von Frankensteins Monster war auch nur einem gelangweilten Hirn entsprungen. Aber dennoch … Du lieber Himmel!
Mal angenommen, jemand war ihnen nachgeschlichen, hatte die Likör- und Whiskyflasche gesehen und petzte das Besäufnis Frau Professor Mori! Und das, wo Alkohol (außer Mittwoch- und Samstagabend ein Bier pro Person) verboten war! Die Jungs müssten Villa Rosa verlassen - und sie auch. Das wäre die Katastrophe schlechthin. Sie konnte einfach nicht nach Zermatt zurück.
Also ein anderes Internat? Verdammt!
Wie kam es nur, dass ihr ihre Abenteuerlust - oder war es Risikofreude? - immer wieder ein Bein stellte? Offensichtlich war sie zu beschränkt, um aus ihren Fehlern zu lernen.
Charly versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass ihr Professor Mori vor dem endgültigen Rausschmiss erst mal einen Verweis erteilen müsse. Dumm, dass sie die Jungs nicht gefragt hatte, wie viele Verweise sie bereits bekommen hatten. Es musste mindestens einer sein, denn Gordon hatte gemeint, sie könnten sich keinen weiteren erlauben. Aber denke mal jemand an Verweise, wenn ein Monster durchs Fenster glotzt und einem mit seinem grässlichen Knochenfinger droht …
Elena ging es auch nicht gut. Sie ärgerte sich über den Streit mit Max und darüber, dass sie stattdessen mit Stefan in Montreux einen Kaffee hätte trinken
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