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Die Liebesverschwörung

Die Liebesverschwörung

Titel: Die Liebesverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schwester Amélie auf Pluttkorten vorfuhr. Amélie trug ein zartrosa Kleid, das hinten länger zipfelte als vorn, was neueste Mode war, von der Schneiderin direkt einem Modell aus dem ›Silberspiegel‹ nachempfunden. Franz, der Musterdiener, der immer besser als sein Herr wußte, was sein Herr eigentlich wollte, stand schon auf der Freitreppe und schritt nun gravitätisch zu den Herrschaften hinunter, um ihnen einen Zettel zu übergeben. Wilhelm schrieb:
    ›Lieber H., besuche das Palaver und Gefiedel allein. Ich gehe in meine Jagdhütte. Wenn du noch Mumm in den Knochen hast, kommst du nach. Andernfalls: Sei auch recht lieb zu den Damen.‹
    Hermann nickte und gab den Zettel an Amélie weiter: »Hier, lies«, sagte er, »Wilhelm hat die Flucht ergriffen. Nichts zu machen. Den ändern keine zehn Töchter Evas mehr.«
    Er schnalzte mit der Zunge. Der Wagen fuhr den sandigen Weg hinab, dem Dorfe zu. Als der Jagdwagen jedoch aus dem Dorf heraus war und in den Wald einfuhr, ließ Amélie anhalten. Hermann wandte sich erstaunt zu ihr. »Was soll denn das sein?«
    »Ich steige hier aus.«
    »Im Wald?!«
    »Mich wird schon kein Kaninchen beißen.«
    »Du wirst dich erkälten.«
    »Es ist doch ein milder Abend, und ich habe den Umhang mit.«
    »Und wenn du dich verirrst?«
    »Mach dich nicht lächerlich, Hermann. Ich kenne hier jeden Ast und jede Wildsau, das weißt du doch.«
    »Du könntest auf irgendwelches Gesindel treffen …«
    »Ja, zum Beispiel auf den bösen Räuber Wilhelm.«
    Er pfiff durch die Zähne. »Aha! Na, viel Glück. Aber ich kann dich nur warnen. Ich kenne den Burschen.« Dann fuhr er davon. Amélie stand da in ihrem rosa Kleidchen und fröstelte, nicht vor Kälte, sondern vor Aufregung. Wilhelm. Ein Mann, der vor Frauen förmlich flüchtete. Gab es denn das? Oder flüchtete er vor sich selbst, weil er tief im Inneren wußte, daß eine Frau sein großartiges Getue schnell aufweichen würde, daß viel Zärtlichkeit und Sehnsucht nach Nähe in ihm waren, die so gar nicht zu dem Wilhelm paßten, zu dem er durch harten Drill und feste männliche Ideale erzogen worden war?
    Die Dunkelheit fiel ein. Es wurde kühler. Die Raben, die über den Feldern gekreist waren, flogen nun den Nestern zu. Der Wald nahm den blaugrünen, fast schwarzen Ton der Nacht an. Amélie warf entschlossen den Kopf in den Nacken und schlich zur Jagdhütte.
    Wirklich, da glitt der Schatten einer großen, breiten Gestalt hinter dem erleuchteten Fenster hin und her. Sie versteckte sich hinter einem dichten Haselbusch und war sehr, sehr aufgeregt. Oder hatte dieses furchtbare Herzklopfen noch mit etwas anderem zu tun? Konnte es sein, daß man so den Atem verlor, wenn man an einen Mann dachte, wenn man nur seinen Schatten sah? Hast du dich übernommen, Amélie? fragte sie sich. Doch in ihrer Familie waren auch die Frauen stets couragiert gewesen. Sie fielen in Ohnmacht, wenn ein rauhes Wort fiel, aber sie konnten stundenlang reiten, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie leiteten den großen Haushalt und bekamen viele Kinder und vergaßen trotzdem nie, daß sie eine schwache, anmutige Person zu sein hatten.
    Plötzlich öffnete sich die Tür der Jagdhütte. Wilhelm Pluttkorten trat heraus, in Lodenjoppe, Lodenhose und braunen Reitstiefeln, den Drilling über der Schulter und den Klappstuhl unter dem Arm. So stapfte er gefährlich dicht an Amélies Versteck vorbei und trottete in den dichten Wald hinein.
    Amélie preßte die Hand aufs Herz. So leise wie möglich schlich sie ihm nach. Sie glitt von Baum zu Baum und duckte sich, wenn er sich zufällig einmal umsah. Fast hatte sie Mühe, in der noch dichter werdenden Dunkelheit den Kontakt nicht zu verlieren. Es half ihr, daß sie als Kind, wenn auch verbotenerweise, mit den Dorfkindern Räuber und Gendarm in den Wäldern gespielt hatte. So viel anders war das hier schließlich auch nicht. Nur, daß der Räuber eben … nun … ein sehr aufregender Räuber war.
    Oh, jetzt wußte sie bereits, wohin er ging. Am Rande der weiten Kleewiese erklomm er den Hochstand. Sie schlug einen Bogen, pirschte sich dem Hochstand gegenüber durch den Laubwald und verharrte hinter einem Gebüsch, genau dem Sitz Wilhelms gegenüber.
    So saß sie eine Weile. Nichts rührte sich. Einmal flatterte ein Vogel über sie hinweg. Ein Käuzchen schrie unheimlich. Im trockenen Unterholz raschelte und knackte es. Die Stille war trügerisch. Die Nacht hatte tausend Augen und Geräusche. Eine unheimliche Angst überkam Amélie.

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