Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Alltagskleidung an und stieg mit dem blutigen weißen Bündel unter dem Arm die Treppe zu seinem Zimmer hoch. Als er dort ankam, fand er Darrin mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Schreibtisch sitzend vor; neben ihm lag ein sauber gefalteter Wäschestapel.
Darrin öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber Gair hob die Hand. »Keine Fragen«, sagte er. »Ich will nicht darüber reden. Ich will nur dieses Pulver nehmen, damit die Schmerzen weggehen.« Er warf seine Kleider auf die Truhe am Fußende des Bettes. Dann schüttete er das Pulver in einen Becher, goss etwas Wasser aus der Kanne auf dem Nachttisch hinein und nahm einen Schluck.
Es war so bitter, dass er es beinahe wieder ausgespuckt hätte. »Grundgütige Göttin!«
»Halt die Luft an«, schlug Darrin ihm vor. »Dann schmeckst du es nicht.«
»Ich hatte schon die Luft angehalten.« Gair zog eine Grimasse und schaute in den Becher. Dieses Pulver war noch bitterer als Athalin, sofern das überhaupt möglich war. Er schluckte den Rest hinunter und spülte mit einem weiteren Becher Wasser nach, um das sandige Gefühl aus dem Mund zu vertreiben. Es half nicht besonders.
Darrin hielt ihm feierlich ein Zinnkästchen entgegen. »Ein Karamellbonbon gefällig?«
»Danke. Dieses Zeug war grauenvoll .«
Während er auf dem Bonbon herumkaute, ließ er sich aufs Bett fallen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. »Welchem Umstand verdanke ich die Ehre deines Besuchs?«
»Ich hatte gehofft, du könntest mir mit meiner Geschichtsaufgabe für Meisterin Donata helfen.«
»Worum geht es denn?«
»Um die Schlacht am Strömenden Fluss. Ich dachte, vielleicht weißt du mehr darüber, weil du von den Rittern ausgebildet worden bist.«
»Du meinst, weil mir ein Jahrzehnt lang Kirchengeschichte eingebläut wurde.« Gair rieb sich die Augen, setzte sich gerade hin und versuchte sich zu konzentrieren. »Was willst du wissen?«
»Das war eine der letzten großen Schlachten während der Gründung. Gwlach hat seine ganze Kriegsmacht den Rittern entgegengeworfen und war ihnen im Verhältnis von vier zu eins überlegen, aber die Ritter haben trotzdem gewonnen. Wie haben sie das geschafft? Das hätte doch eigentlich unmöglich sein müssen.«
Darrin hatte recht; normalerweise hätten sie eine Niederlage einstecken müssen. Dass zwölf Legionen von Kirchenrittern gegen etwa fünfzigtausend Nimrothi-Krieger gesiegt hatten, sprach jeder Wahrscheinlichkeit Hohn, auch wenn man die Rüstungen der Ritter, ihre Disziplin und die niederschmetternde Macht ihrer schweren Kavallerie in Betracht zog. Die Nimrothi waren die geborenen Reiter. Sie hätten die Flanken niedermachen und die Ritter so mühelos lahmlegen sollen wie ein Wolfsrudel einen Elch.
Stattdessen hatten die Ritter in einem fünfzehn Tage währenden Kampf gesiegt, der blutiger gewesen war als alle anderen kriegerischen Auseinandersetzungen während der Gründung und in der Geschichte des nachfolgenden Reiches. Die Schlacht hatte Gwlach und vielen seiner Häuptlinge das Leben gekostet, und die Clans waren so vernichtend geschlagen worden, dass die nördlichen Grenzen von Arennor und Belistha tausend Jahre lang sicher gewesen waren.
»Den meisten Kirchenhistorikern zufolge war der starke Glaube dafür verantwortlich. Die Ritter trugen die Gebeine des heiligen Agostin des Widerspenstigen in einer Truhe vor der Armee her; vielleicht hat das geholfen.«
»Aber wie haben sie gewonnen? Das ist es, was ich nicht verstehe.«
»Ich fürchte, ich verstehe es ebenfalls nicht.«
»Verdammt«, murmelte Darrin und runzelte die Stirn unter den Locken. »Ich habe für eine gute Note auf dich gezählt.«
»In Ordnung. Du erzählst mir, wie deine Hausaufgabe genau lautet, während ich das hier wegräume, und wir werden sehen, zu welchem Ergebnis wir kommen.« Gair sprang wieder auf die Beine und hob den Stapel sauberer Wäsche auf.
Ein Strahlen erhellte Darrins Gesicht, und er durchwühlte seine Taschen. »Danke, Gair. Ich habe es mir irgendwo aufgeschrieben. Wie kommt es eigentlich, dass du so ordentlich bist? Ich habe nie einen Sinn darin gesehen, Kleidung wegzuräumen. Sie zerknittert doch sowieso, wenn man sie trägt, warum also soll man sie sauber weghängen?«
»Dir ist nie damit gedroht worden, dass du ausgepeitscht wirst, wenn du nicht aufräumst. Solche Angewohnheiten sind nur schwer abzulegen.«
Ohne aufzuschauen, öffnete Gair seinen Schrank und machte sich daran, die Hemden vom Rest des Stapels zu
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