Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
war leer. Die Tür zum Behandlungszimmer auf der anderen Seite stand halb offen, aber Gair sah niemanden dahinter. »Saaron kann nicht weit weg sein«, sagte er. »Ich hole ihn.«
Arlin sah ihn finster an und setzte sich auf eine der Bänke, während er die Hand gegen die verletzten Rippen presste.
Gair betrat das Behandlungszimmer. Gelbe Rollos bedeckten die großen Oberlichter und reichten bis halb über die Fenster. Die gekachelten Wände waren feucht, genau wie der große Behandlungstisch, als ob jemand vor Kurzem gründlich sauber gemacht hätte, aber von Saaron war nichts zu sehen. Gair wollte gerade im Studierzimmer des Heilers nebenan nachsehen, als er Schritte hörte. Eine zierliche junge Frau in einem grünen Heilermantel öffnete die Tür.
»Ich hatte geglaubt, die Klingel zu hören«, sagte sie. »Ich war in der Apotheke. Kann ich dir helfen?«
»Ich suche Saaron.«
»Ich fürchte, er ist nicht hier. In Pencruik sind Fälle von Fieber aufgetreten, und er ist dorthin gegangen, um zu helfen.« Sie setzte die Tonflasche ab, die sie in der Hand gehalten hatte, zog die Rollos auf, und das Sonnenlicht erfüllte das Behandlungszimmer. »Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«
»Ich bin von einem Übungsschwert getroffen worden.«
»Bist du einer von Meister Harals Schülern?«
Gair nickte. Das Mädchen wickelte die Kordeln der Rollos um die dafür vorgesehenen Haken und kam dann auf ihn zu. Aus der Nähe erkannte er, dass sie eine Astolanerin war. Ihr rotes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, der über ihrer Schulter lag, aber kleine Locken hatten sich daraus gelöst und bildeten einen hellen Kranz um das feingeschnittene, goldhäutige Gesicht. Sie hatte große, gelbbraune Augen, die etwas schräg standen – wie die einer Katze. Sie ergriff Gairs Kinn und drehte sein Gesicht dem Licht zu.
»Das sind nur oberflächliche Verletzungen«, sagte sie. »Setz dich auf diesen Hocker, dann säubere ich sie dir.«
»Ich glaube, du solltest dich zuerst um Arlin kümmern«, sagte Gair. »Meister Haral meint, er hat sich einige Rippen gebrochen.«
Das astolanische Mädchen hob die Brauen. »War er zufällig derjenige, der dich verdroschen hat?«
»Ja.«
Sie rollte mit den Augen.
Arlin fluchte und stöhnte mehrfach laut, als er sich auf den Behandlungstisch legte, woraufhin ihm die Heilerin geschickt das Hemd mit einem Skalpell aufschnitt. Eine dicke Beule auf den Rippen nahm bereits eine dunkelviolette Färbung an, und er atmete flach und angestrengt.
»Das muss ziemlich wehtun«, sagte sie und legte die Hand auf die Beule.
Gair spürte, wie sie den Sang herbeirief, aber dessen Ton war anders als alles, was er je zuvor gefühlt hatte. Die Haare an seinen Armen richteten sich auf, als ob eine Feder über sie gefahren wäre. Sie schloss die Augen und fuhr mit der Handfläche über Arlins Rippen hin und her, fast als ob sie seine Verletzung hören könnte. Ohne darüber nachzudenken, versuchte Gair das zu hören, was sie hörte, und sofort brandete der Sang in ihm auf.
Sie warf einen Blick über die Schulter. »Hast du etwas dagegen?«
»Entschuldigung.« Eilig zügelte er seinen Sang, und sie machte sich wieder an die Arbeit.
Nun konzentrierte sie sich vollkommen; ihr Gesicht war absolut reglos, und ihr Bewusstsein war anderswo. Nach einigen Minuten richtete sie sich auf, und der Sang in ihr wurde stiller. »Meister Haral hatte recht. Eine Rippe ist glatt durchgebrochen und eine nur angebrochen. Womit hast du ihn geschlagen? Mit einem Baum?« Sie schenkte Arlin ein Lächeln. Der Tylaner wandte den Kopf ab, ohne mit ihr zu reden, und ihr Lächeln verblasste. Ihr Blick glitt hinüber zu Gair. »Ich werde mit der Heilung anfangen, aber ich fürchte, ich kann ihn nicht entlassen, bis auch Saaron ihn untersucht hat. Er wird morgen früh wieder hier sein.«
Abermals sagte Arlin nichts. Die Heilerin legte ihm die Hände auf die Rippen und rief erneut den Sang herbei.
Gair wollte beobachten, was sie tat, aber er zwang sich, dem Zerren ihrer inneren Kraft zu widerstehen und schaute stattdessen aus dem Fenster auf einige Novizen, die im Kräutergarten Unkraut jäteten, während ein Adept in grünem Mantel an den Reihen der Büsche entlangging, Samenkapseln abschnitt und in einen Leinenbeutel warf. Das rhythmische Pulsieren des Sangs hinter Gair wurde langsam und träge. Als es ganz aufhörte, drehte er sich um.
Arlins Kopf rollte zur Seite.
»Schläft er?«, fragte Gair.
Die Heilerin nickte. »Das
Weitere Kostenlose Bücher