Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
gewundenen Anorien-Straße näher.
Als endlich der Schatten des Torhauses auf ihn fiel, nagte Gair nervös an seiner Lippe. Die Gegenwart des Hexenjägers in seinem Kopf war umso mehr verblasst, je näher sie dem Tor gekommen waren; sicherlich bedeutete das, dass sich die Suche auf eine andere der vier Straßen konzentrierte, die aus der Heiligen Stadt hinausführten. Das hoffte er jedenfalls. Seine Nerven waren so gespannt wie Lautensaiten.
Vor dem Tor stand eine Gruppe von Kirchenrittern Wache; ihre Waffenröcke glänzten trotz des Staubes, der sich auf ihnen niedergelassen hatte. Sie beobachteten die Passanten, machten sich aber nicht die Mühe, die Karren auf der Straße zu untersuchen. Gair stellte sich vor, wie sich ihre Blicke ihm in dem Moment in den Rücken bohrten, in dem er an ihnen vorbeiritt. Er hätte beinahe seine Zunge verschluckt, als einer von ihnen rief: »Halt!«
Alderan warf einen Blick über die Schulter auf die Ritter. Auch wenn seine Miene höchstens müßige Neugier ausdrückte, war sein Blick doch scharf. Gair versuchte seine lässige Haltung nachzuahmen, aber das Herz hämmerte ihm noch immer kräftig in der Brust. Unmittelbar hinter ihnen stand eine Bierkutsche, vor die zwei gewaltige syfrische Rotbraune gespannt waren, die scharlachrote Bänder in ihren Mähnen trugen. Der Kutscher drehte sich auf seinem Bock um, schob sich die Kappe aus der Stirn und beobachtete, wie sich die Ritter einen Weg durch die Menge bahnten. Gair schaute wieder nach vorn. Die Menschenmassen strömten durch das Tor, so dass kaum mehr Tageslicht hindurchfiel. Menschen und Pferde bewegten sich rechts und links an Gair vorbei; es gab nicht einmal genug Platz zum Absteigen. Sein Mund wurde trocken, während frischer Schweiß auf seinem Rücken ausbrach.
»Weiter, weiter«, murmelte er. Der Fuchs tänzelte von einem Bein auf das andere; ihm missfiel die Enge.
Alderan legte Gair die Hand auf den Arm. »Bleib ganz ruhig. Ich glaube nicht, dass sie zu uns kommen.«
»Seid Ihr sicher?«
»Nicht ganz, nein, und deshalb solltest du wachsam bleiben. Kannst du unseren Freund noch spüren?«
»Nicht mehr so wie vorhin, aber er ist noch da.« Gair stellte sich in die Steigbügel und schaute hinter sich, doch die gebogenen Hälse der Brauereipferde und das Bollwerk der Fässer versperrten ihm die Sicht. Es war nichts anderes zu sehen als schwitzende Männer und wartende Tiere. Irgendwo vor ihnen hoben zwei Ochsen die Schwänze und fügten dem allgemeinen Gestank ihre besondere Note hinzu.
»Riechst du die frische Landluft?«, fragte Alderan.
Gair schaute sich wieder um. In der Enge und der stickigen Luft war ihm unwohl zumute, und jede weitere Minute, die er warten musste, zerrte an seinen überspannten Nerven. Der alte Mann hingegen schien vollkommen unbeeindruckt zu sein; er saß in seinem Sattel wie ein Sack Rüben und stocherte in seinen Zähnen herum.
»Wie könnt Ihr nur so ruhig sein? Bei diesem Gedränge kommen wir doch nie weiter«, sagte Gair und schaute wieder hinter sich. Die Wachen näherten sich; er hörte, wie sie einen Fuhrmann anschrien, er solle den Weg freimachen.
Alderan warf das weg, was er aus seinen Zähnen gepult hatte. »Ich bin nicht ruhig, aber Aufregung lässt die Menge auch nicht verschwinden. Wir müssen eben abwarten. Ja, aus der Stadt herauszukommen dauert ein wenig länger, als es mir lieb ist, aber wir können nichts daran ändern. Es gibt Dinge im Leben, die man einfach hinnehmen muss. Den Tod. Die Steuern. Und Warteschlangen.« Plötzlich grinste er wie ein Fuchs. »Sieh dich nur an. Jeder könnte auf den Gedanken kommen, dass du etwas zu verbergen hast.«
Gair sagte ein Wort, für das ihn der Novizenmeister hätte auspeitschen lassen, und setzte sich wieder in den Sattel.
Alderans Lachen ertönte, vollmundig wie Portwein.
Schließlich hatten die Wachen die Bierkutsche umrundet. Rasch schaute Gair nach vorn und nahm aufgeregt die Zügel in die Hände. Er konnte es nicht mehr ertragen. Wenn es die Ritter tatsächlich auf ihn abgesehen hatten, wusste er nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht einmal genug Platz, um sein Schwert zu ziehen, und es war unmöglich, das Pferd zu wenden und sich ihnen entgegenzustellen. Er nagte an der Lippe und versuchte etwas Speichel zu erzeugen, aber es gelang ihm nicht.
»He, Bierkutscher«, rief der eine Wächter. »Eins deiner Fässer leckt!«
Gütige Mutter, ich danke dir . Schwach vor Erleichterung lehnte sich Gair gegen den Sattelknauf und
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