Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Körper.
Als er taumelnd aufstand, stellte er fest, dass er von aufgewühltem, blutigem Schnee umgeben war. Durch die Bewegungen war mindestens eine Wunde wieder aufgebrochen; frische rote Flecken erschienen um seine Füße herum. Gair sackte auf die Knie. Plötzlich drehte sich ihm der Magen um. Bittere Galle brannte ihm in der Kehle, und er übergab sich, bis er nichts mehr im Magen hatte.
Weinend sackte er im Schnee zusammen, während der graue Himmel über ihm schwankte. Er brauchte lange, bis sich die Erde nicht mehr so stark drehte und er wieder aufstehen konnte. Es tat so weh. Blut tropfte ihm an Brust und Armen herunter, und beinahe wäre er wieder gestürzt. Blinzelnd taumelte er im Kreis herum und versuchte sich zurechtzufinden.
Er war irgendwo auf einer Insel. Rechts von ihm brandete düster das Meer, und dahinter lag der weiße Umriss einer weiteren Insel. Eigentlich sollte er ihren Namen kennen, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Er wusste, dass hinter jener Insel noch eine lag und dahinter sein Zuhause.
Wenn er das Wasser zur nächsten Insel überqueren wollte, würde er fliegen müssen. Er war sich nicht sicher, ob ihm das gelingen würde. Vorsichtig betastete er seinen Nacken und fand eine Menge zerrissene Haut und geronnenes Blut. Als seine Finger den schartigen Rand der Wunde berührten, schluchzte er vor Schmerz auf. Er nahm eine Handvoll Schnee und rieb sich damit den Hals ein. Die Kälte stach und brannte, und er heulte auf. Nach einer weiteren Handvoll drängte die Taubheit allmählich den Schmerz zurück. Er rang nach Atem und griff in seinem Inneren nach dem Sang.
Er war nicht so stark, wie Gair ihn in Erinnerung hatte. Er fühlte sich fast so zerschmettert und zerrissen an wie er selbst. Eine Ewigkeit verging, bis Gair die Melodien nach derjenigen abgesucht hatte, die er haben wollte. Als er sie gefunden hatte, lag sie leblos in seinen Händen. Es gelang ihm nicht, sie zum Singen zu bringen.
»O Aysha, hilf mir«, flüsterte er.
Er versuchte es erneut. Diesmal spürte er, wie das Gestaltwandeln einsetzte, sich bis zur Hälfte vollzog und plötzlich abbrach. Er fiel auf die Knie und übergab sich. Sobald die Übelkeit nachgelassen hatte, kämpfte er sich wieder auf die Beine und versuchte es nochmals. Er kam nicht weiter, aber diesmal war er entschlossen, nicht aufzugeben. Er durfte nicht aufgeben. Er würde nicht hier sterben! Gair biss die Zähne gegen die Übelkeit zusammen, die wieder in ihm aufstieg. Er hielt sich an der Musik fest und zwang sie, in ihn einzudringen.
Er flog über die schmale Meerenge und war damit seinem Zuhause näher gekommen. Schwarze Schatten schoben sich in sein Gesichtsfeld, und er fiel, bis er sich nur noch wenige Fuß über den Wellen befand. Ein Schwindelgefühl drohte ihn zu überwältigen und warf ihn gegen den schneebedeckten Felshang der nächsten Insel. Schmerzen durchströmten seinen Hals und seine Schultern, und die Welt verschwamm vor seinen Augen. Keuchend lag er da, bis er die Kraft hatte, die Schmerzen zu ertragen und sich den Hang hochzuschleppen. Noch bevor er oben angekommen war, fiel er wieder auf die Knie.
»Aysha«, rief er, »o Göttin, Aysha !«
Keine Antwort. Sie konnte ihn nicht hören. Er musste näher an sie herankommen, musste irgendwie die nächste Verwandlung schaffen und weiterfliegen. Er legte sich noch einmal Schnee auf den Nacken und griff abermals nach dieser zerbrechlichen, flüchtigen Melodie.
Als die Dunkelheit einsetzte, stieg Alderan die Treppe zum Glockenturm mit einem zusätzlichen Mantel über dem Arm hoch. Obwohl der Frühling vor der Tür stand, lag noch dichter, im Licht des zweiten Mondes schimmernder Schnee auf den Feldern. Dies war keine Nacht, in der man ohne Mantel draußen sein sollte – in der man überhaupt draußen sein sollte.
Er schloss einen Laden nach dem anderen, außer einem Paar, das nach Westen ging. Er breitete die Hände aus und erschuf einen Glimm, der so groß war, dass er ihn nicht mit den Armen umfassen konnte, und der sich in der Mitte der oberen Kammer drehte. Ein weißes Lichtband, gerade wie eine Reichsstraße, fiel über das schlafende Land. Er hoffte, dass es ausreichte, um den Jungen nach Hause zu führen. Es musste ausreichen. Mehr konnte er nicht tun. Dann setzte er sich auf eine Bank und wartete.
Eine Stunde verging, bevor er eine zuckende Bewegung sah und ein Turmfalke durch das Fenster hereinflog; er ließ sich am Ende der Bank nieder. Die Federn waren in Unordnung,
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