Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
gegen seinen Sattel und rauchte. Gair streckte sich in seinem Schlafsack aus und versuchte zu schlafen. Doch trotz seiner Erschöpfung und der Müdigkeit in seinen Gliedern konnte er kein Auge zutun. Der Bach plätscherte unablässig. Kleine Wesen huschten im Gras umher, und Nachtvögel zwitscherten einander zu. Am lautesten aber war die Stille, nun, da er den Sang der Magie nicht mehr hörte.
Ein Teil von ihm wünschte, sie käme nicht mehr zurück, obwohl sich ihm das Herz bei dem Gedanken zusammenzog, diese Musik nie wieder zu hören und nie wieder das süße Strömen ihrer Macht zu erfahren. Andererseits machte es keinen Unterschied, ob sie von nun an schwieg oder nicht, denn er war bereits verdammt. Er hatte die Lehren der Göttin in dem Augenblick zurückgewiesen, in dem er der Verführung nachgegeben hatte, und es hatte ihn außer seinem Leben alles gekostet, was er besessen hatte.
Er drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Über ihm glitzerten die Sterne wie Löcher im Vorhang des Himmels. Er zählte die Konstellationen, die er kannte, von Osten nach Westen: der Pilger, der nun auftauchte – zum Mittwinter würde er wieder verschwunden sein; der Triumphwagen; Amarada auf ihrem Thron; der Jäger und seine drei Hunde, Slaines Schwert mit dem Polarstern im Griff, hell wie ein Diamant. Der erste Mond Miriel hing tief über dem Kamm der Archenberge. Hinter ihm war der Schwanz des Drachen, der die Überreste des Tages jagte, unmittelbar über den leuchtenden Gipfeln sichtbar.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte Alderan von der anderen Seite des Feuers.
»Ich kann die Magie nicht hören. Es fühlt sich an, als würde etwas fehlen.«
»Das ist ein seltsames Schlaflied.«
»Ich höre es schon so lange, dass ich mich sehr daran gewöhnt habe. Es ist auch früher schon verstummt, aber da hat es sich anders angefühlt. Als würde es schlafen. Jetzt kann ich es gar nicht mehr hören, und das ist irgendwie falsch, obwohl es das nicht sein sollte.«
»Falsch?«
»Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Jede Predigt, die ich je gehört habe, hat mich vor der Sünde gewarnt. Jedes Gebet, das ich je gelernt habe, war dazu bestimmt, mich von ihr fernzuhalten. Aber als ich die Musik gehört habe, hat es sich so richtig angefühlt. Ich habe nicht dagegen angekämpft. Ich habe mich ihr geöffnet, obwohl ich wusste, dass sie mich auf ewig von der Gnade der Göttin abschneiden würde.« Er betastete sein Schlüsselbein durch das Hemd, wo ein kleines silbernes Medaillon des heiligen Agostin an einer Kette gehangen hatte, bevor die Marschälle es ihm abgenommen hatten. Nicht einmal der Schutzheilige der Ritter hatte ihn davor bewahren können.
»Damals warst du noch ein Kind.«
»Ich war alt genug, um den Unterschied zwischen Sünde und Tugend zu kennen«, sagte Gair, »aber ich habe es trotzdem getan.«
»Aus Neugier?«
»Zuerst schon, und irgendwann konnte ich nicht mehr anders, obwohl ich wusste, dass es verboten ist. Ich musste die Musik einfach in mich hineinlassen. Sie war so … prachtvoll.«
»Und was ist vorhin auf der Straße passiert, als du mein armes Pferd auf eine Schar suvaeonischer Ritter zugetrieben und mir damit so viel Angst gemacht hast, dass es mich bestimmt fünf meiner Lebensjahre gekostet hat?«
»Ich hatte das alles nicht geplant. Ich musste nur fliehen. Die Magie war dabei, sich einen Weg zu bahnen, und ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, damit ich nicht platze. Es tut mir leid wegen des Pferdes.«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Passiert es dir oft, dass die Magie in dir die Oberhand gewinnt?«
»Manchmal.« Es war leichter, im Dunkeln zu reden; es war fast wie eine Beichte. »In letzter Zeit immer öfter, aber früher war es nicht so. Jedes Mal, wenn ich Angst habe, kann ich sie nicht mehr kontrollieren – jedes Mal, wenn etwas Furchtbares passiert.«
»Etwas Furchtbareres als die ewige Verdammnis?«
»Ich meine damit, dass ich anderen Menschen etwas antun könnte.« Für ihn selbst konnte es schließlich nicht mehr schlimmer werden.
Jenseits des Feuers glühte der Tabak in Alderans Pfeife auf, wenn er den Rauch einsog. »Diese Gefahr besteht bei allen, die in der Lage sind, die Lieder der Erde zu berühren«, sagte der alte Mann langsam. »Unter Anleitung und mit der entsprechenden Willensstärke kannst du lernen, sie zu kontrollieren. Irgendwann wirst du dich von deiner Gabe tragen lassen können, wie sich ein Vogel vom Wind tragen
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