Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
wieder Gorans Männern zu begegnen, und es wird ihnen egal sein, ob sie auf dem betreffenden Gebiet rechtlich zuständig sind oder nicht.«
»Das ist ein sehr großzügiges Angebot von Euch, aber bei allem Respekt muss ich sagen, dass ich Euch nicht kenne. Ihr habt keine Mühen gescheut, mir aus der Stadt herauszuhelfen, aber ich kann Euch nicht darum bitten, noch mehr für mich zu tun.«
»Unsinn. Es ist meine Pflicht als guter Eadorier, all jenen freundschaftlich die Hand entgegenzustrecken, die weniger Glück haben als ich selbst, und meiner Meinung nach ist das bei dir noch immer der Fall. Ich würde mich freuen, wenn du mit mir kommst, denn dann wäre ich wenigstens nicht allein unterwegs. Auf einer tausend Meilen langen Reise erkennst du sehr schnell, dass Pferde keine guten Gesprächspartner sind.«
»Tausend Meilen? Nur wegen alter Bücher?«
»Ich reise gern.« Alderans Zähne blitzten auf. »Außerdem sind die selteneren Bücher über alle zwölf Provinzen und noch weiter verstreut. Ich sehne mich danach, im nächsten Jahr wieder Sardauk zu besuchen. Dort gibt es in Marsalis eine wunderbare Bibliothek, und die Universität ist älter als das Reich selbst. Aus irgendeinem Grund bringt die Wüste die besten Gelehrten hervor – Sand und Hitze helfen dem Verstand, sich zu konzentrieren.«
Gair beobachtete den geisterhaften Umriss einer Eule, die über ihnen auf der Suche nach einem Abendessen dahinsegelte. Alderan hatte ihm nur Gutes getan, seit er in jener Taverne aufgewacht war, und der Vorschlag des alten Mannes, mit ihm auf die Inseln zu gehen, war viel interessanter als die anderen Möglichkeiten. Gair hatte schon immer gern gelesen: Abenteuergeschichten, Historisches und sogar die epischen Gedichte der Nordmänner, wenn er dazu in der Stimmung gewesen war. In der Bibliothek des Mutterhauses hatten sich hauptsächlich kirchliche Texte befunden, aber einige der früheren Mönche hatten sich die Mühe gemacht, die Geschichte der Länder von der Gründung an aufzuzeichnen, und so hatte sich Gair vielfältige Zerstreuung geboten.
»Was würde ich dort draußen auf den Inseln tun?«
»Was immer du willst. Das kannst du selbst bestimmen.«
»Und das, was ich bin, macht dir nichts aus? Die Magie, meine ich.«
»Nicht das Geringste. Du und die anderen, denen ich begegnet bin, waren fast ausnahmslos ehrliche, anständige Menschen und bessere Eadorier als viele Geistliche, die ich gekannt habe, einschließlich unseres lieben Freundes Goran. Mit Kirchenleuten bin ich vorsichtig, wie ich schon sagte, und ich nenne nur sehr wenige von ihnen meine Freunde.«
»Ist der Geistliche deiner Gemeinde einer von ihnen?«
Alderan lachte herzlich. »Allerdings. Er ist ein feiner Kerl, der mir zu jeder Wintersonnenwende eine Flasche guten tylanischen Goldwein schickt und mich nicht düster ansieht, wenn ich nicht zur Beichte gehe. Nur damit das klar ist, auch wenn wir uns noch nicht lange kennen, Gair: Du wärest in meinem Hause sehr willkommen.«
»Willkommen« war ein Wort, das er nur allzu selten hörte. Er war von Leuten, die ihn durch und durch kannten, aus Leah fortgeschickt und von denjenigen aus dem Mutterhaus geworfen worden, die ihm seine Sünden hätten vergeben müssen. Die einzige Person, die ihm wirklich die Hand entgegengestreckt hatte, war dieser Mann, den er am wenigsten kannte. Er hatte es satt, andauernd abgelehnt zu werden. »Wie lange dauert es, dorthin zu kommen?«
»Den Rest des Sommers, fürchte ich, aber den größten Teil der Strecke können wir im Boot zurücklegen und dadurch unserem Hintern den Sattel ersparen. Bedeutet das, dass du beschlossen hast, mit mir zu kommen?«
»Ich mag Bücher.«
»Ich verstehe. Nun, es sind noch einige Meilen bis Mesarild, und du hattest einen ziemlich anstrengenden Tag. Versuch ein bisschen zu schlafen.«
Gair zog sich den Schlafsack um die Schultern. Nach Westen . Ein Neuanfang, so etwas wie ein eigenes Leben, anstatt immer nur von anderen gesagt zu bekommen, was er tun musste. Das konnte doch nur gut sein, oder? Er schloss die Augen. Außerdem hatte er sowieso keine andere Zufluchtsstätte.
6
Die Lehne des hölzernen Stuhls war so aufrecht wie ein Heiliger und der Sitz so unnachgiebig wie die schwarze Eiche des Verrätertores. Gair rutschte hin und her, so gut es mit hinter der Lehne gefesselten Armen eben ging, aber es half nichts. Sein Hintern hatte jedes Gefühl verloren.
Nüchtern und geduldig, wie Krähen auf einem Zaun, beobachteten ihn die
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