Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
wird dir die Einzelheiten erklären. Jetzt muss ich mich aber sputen; der Rest des Konzils wartet bestimmt schon auf mich. Ich sehe dich Morgen früh – sehr früh.«
»Keine Angst, ich bin daran gewöhnt, die mönchischen Zeiten einzuhalten«, versicherte Gair ihm.
Alderan klopfte ihm auf die Schulter, stieg dann die Treppe zu der Tür hoch und verschwand hinter ihr.
Der Belisthaner sah Gair unsicher an. »Hast du gerade gesagt, dass du aus einem Kloster kommst?«, fragte er mit angsterfüllter Stimme.
»Aus dem suvaeonischen Mutterhaus in Dremen.« Gair schulterte sein Bündel.
Darrins Blick huschte zu dem Schwert. »Heißt das, dass du ein Ritter bist?«
»Nein, ich bin nie über den Novizenstand hinausgekommen. Man hatte mich in der Hoffnung dorthin geschickt, eine mönchische Erziehung würde einen normalen Menschen aus mir machen.«
Der Junge ist ein Schattenkind . Solch schreckliche Worte waren ausgesprochen worden – auf beiden Seiten, wenn er ehrlich war. Worte, die man nicht zurücknehmen konnte und die noch immer wehtaten. Gair schlug den Deckel der Truhe seiner Erinnerung zu. Das hier war ein Neuanfang an einem neuen Ort. Er musste die alten Knochen in Ruhe lassen.
»Bist du ein Gaeden , wie wir alle hier?«
»Anscheinend.«
»Dann betest du also nicht die ganze Zeit?«
Gair lachte. »O nein, ich kann es mir bloß nicht abgewöhnen, pünktlich zur Frühmesse aufzuwachen. Was jetzt?«
»Wie wäre es, wenn ich dir zuerst dein Zimmer zeige und dich dann ein bisschen herumführe? Uns bleibt noch genug Zeit bis zum Abendessen.«
Darrin führte ihn die Treppe hoch. Auf den Steinfliesen im Eingangsbereich lagen helle Flickenteppiche, die auch in einer Bauernstube nicht fehl am Platz gewesen wären. Gänge zweigten nach links und rechts ab, und ein breiterer Hauptkorridor führte geradeaus durch das gesamte Gebäude. Darrin zeigte ihm die Unterrichtssäle sowie die Krankenstation, und am Ende des Korridors kamen sie zu zwei nebeneinanderliegenden Treppen, die zu den Schlafzimmern emporführten. Sie würden nun die linke nehmen, sagte Darrin; die rechte führe zu den Zimmern der Mädchen.
»Hier werden auch Mädchen unterrichtet?«
»O ja.« Darrin grinste und rollte mit den Augen. »Ich vermute, dass du daran nicht gewöhnt bist, weil du aus dem Kloster kommst, aber mach dir keine Sorgen. Es sind genauso viele Mädchen wie Jungen hier. Du wirst bestimmt eine finden.«
Ein Mädchen zu finden, war das Letzte, woran Gair jetzt denken wollte. Vom Augenblick seines Eintreffens im Mutterhaus an war von ihm erwartet worden, dem Orden keusch, gehorsam und demütig zu dienen, so wie er es in seinem Eid als suvaeonischer Ritter geschworen hatte. Gehorsam war ihm auf dem Übungshof und im Speisesaal beigebracht worden, wo er die anderen hatte bedienen müssen. Was die Demut anging, so hatte er im Stall Mist geschaufelt, dabei aber wenigstens die Gesellschaft der Pferde gehabt, die er lieber mochte als die meisten Menschen. Der Sinn des Dienstes hatte sich ihm auf den Feldern der Gehöfte gezeigt, die dem Mutterhaus angeschlossen waren und wo er sich beim Ernten von Steckrüben mindestens genauso viele Blasen geholt hatte wie im Kampf mit Schwert und Lanze. Und die Keuschheit war in dem Männer-Orden ganz von allein gekommen.
Viele hübsche Mädchen – und auch Jungen und ältere Menschen, aber in der Hauptsache Mädchen – wünschten Darrin einen guten Nachmittag, und einige von ihnen hießen Gair willkommen. Sie machten Bemerkungen über seine Größe, raschelten mit ihren hellen Röcken, schüttelten die glänzenden Haare und schwatzten wie Heckenfinken auf einem Zweig. Es gelang ihm, mit ihnen zu reden, ohne gleich die Zunge zu verschlucken, aber Darrin ging so vertraut mit ihnen um, als ob sie alle seine Schwestern oder Kusinen wären, was sogar einige tatsächlich waren, in deren Haar sich schon graue Strähnen zeigten. Mit wenigen Worten brachte er sie zum Lachen, und mehr als eine warf einen Blick über die Schulter und lächelte sie im Weggehen noch an.
»Du bist sehr beliebt«, sagte Gair, während sie die Treppe hochstiegen.
»Das sind die Sommersprossen. Kein Mädchen kann ihnen widerstehen.« Darrin grinste. »Aber ich muss mich benehmen. Renna hat gedroht, mir die Augen mit einem Schürhaken auszustechen, falls sie mich noch einmal dabei erwischen sollte, wie ich ein anderes Mädchen ansehe.«
»Ist sie deine Liebste?«
»Wir gehen seit dem letzten Sommer zusammen. Sie ist eine der
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