Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Komplex umgab, wirkte eher wie eine Grenzmarkierung als wie ein Bollwerk.
»Es sieht aus wie ein Landsitz«, sagte Gair.
»Das ist es tatsächlich einmal gewesen. Es ist natürlich mit den Jahren ausgebaut worden, denn schließlich müssen zweihundertsiebzig Schüler untergebracht werden«, erklärte Alderan. »Und dann sind da noch die Lehrer und die Adepten, die beschlossen haben zu bleiben, um von der Dienerschaft erst gar nicht zu sprechen. Im Augenblick leben etwa fünfhundert Personen hier.«
»Ich hätte nie gedacht, dass es so viele sind!«
»Und mit wie vielen hast du gerechnet?«, fragte der alte Mann, als der Karren an den Toren des Gehöftes vorbeirumpelte. Eine Frau, die gerade Wäsche von der Leine nahm, hielt inne und winkte ihnen zu. Alderan winkte zurück, und der Kutscher nahm seine Kappe ab. »Du bist nicht der einzige Junge auf der Welt, der diese Gabe hat.«
»Ich …« Gair verstummte wieder. »Als Ihr gesagt habt, Ihr wäret einer der Letzten, hatte ich angenommen, dass es noch ein paar Dutzend gibt, auf keinen Fall aber eine halbe Legion!«
»Als ich so alt war wie du, gab es tatsächlich nur noch ein paar Dutzend Gaeden , und die meisten von ihnen waren alt. Wir haben verzweifelte Anstrengungen unternommen, Schüler zu finden, bevor alle Lehrer starben. Jetzt ist unser Orden viel weniger gefährdet als damals, aber wir sind noch immer viel weniger, als uns lieb ist. Mit den Jahren haben wir zu viele Begabte an die Unwissenheit und die Vorurteile verloren, so wie es auch bei dir beinahe der Fall gewesen wäre. Manche sind auch der mangelnden Kontrolle ihrer Gaben zum Opfer gefallen. Jeder Einzelne ist wichtig, und wir müssen alles tun, um sie zu bewahren.«
» Gaeden ? Was bedeutet das?«
»Es ist das, was du bist und was du sein wirst, wenn du dich entschließen solltest, zu uns zu kommen. Es ist das, was ich bin. Es bedeutet ›Begabte‹ oder ›Begabter‹. Es ist ein altes Wort, das noch weiter zurückreicht als die Gründung.« Der alte Mann lächelte. »Es ist ›Hexe‹ oder ›Hexer‹ auf alle Fälle vorzuziehen, oder?«
Der Karren fuhr durch das offen stehende Tor in den Hof des Kapitelhauses ein. Hinter einem Torbogen zur Rechten lagen die Stallungen. Links gelangte man durch einen weiteren Bogen zu einer Reihe von Wäscheleinen, und Gair sah Mägde in weißen Schürzen und mit Körben voller Kleidungsstücke. Vor ihnen führte eine breite Steintreppe hoch zu einer altersschwarzen Eichentür, die mit gewaltigen Nägeln besetzt war. Als der Karren anhielt, sammelte Gair seine Habseligkeiten ein und sprang von der Ladefläche. Die Luft roch nach frisch gebackenem Brot und Stärke sowie nach dem Tang des Meeres.
»Nun, da sind wir«, sagte Alderan, der neben Gair abstieg. Er schaute sich um. »Verdammter Junge, wo ist er? Er sollte doch hier auf uns warten.«
Noch bevor Alderan zu Ende gesprochen hatte, erschien in der Tür ein junger Mann, der auf etwas herumkaute. Als er die Neuankömmlinge sah, schluckte er es sofort herunter und lief auf sie zu, während er sich einige Krümel vom Hemd fegte. Über seiner Kleidung trug er einen dunkelblauen Mantel, der ihm bis zu den Knien reichte. Der Junge hatte dunkles, lockiges Haar und braune Augen, und seine Miene zeugte von Spaß an elfischem Schabernack.
»Wieder ein kleiner Imbiss, Darrin?«, fragte Alderan. »Es wundert mich, dass du noch nicht so breit wie ein Wagen bist, Junge!«
»Meister Saaron sagt, dass ich oft essen muss, denn sonst werde ich krank.« Darrin grinste und zeigte beneidenswert gleichmäßige Zähne. »Es tut mir leid, dass ich nicht hier war.«
»Das sollte dir auch leidtun. Das hier ist Gair.«
Darrin streckte die Hand aus. »Freut mich.«
»Mich auch.«
Der Griff war fest und freundlich. Gair schätzte, dass Darrin etwa so alt war wie er selbst, vielleicht ein wenig jünger. Nach seinem Akzent und seiner Hautfarbe zu urteilen, kam er aus Belisthan.
»Ich muss in Erfahrung bringen, was während meiner Abwesenheit geschehen ist, und deshalb lasse ich dich in Darrins Obhut«, sagte Alderan zu Gair. »Er wird dir etwas zu essen und zu trinken besorgen und dir zeigen, wo alles ist. Heute Abend hast du frei, damit du richtig hier ankommen kannst, aber ich erwarte, dass du morgen zur Prim bereit bist.«
»Bereit? Wozu?«
»Für die Prüfung natürlich.« Alderan klang abgelenkt, als wollte er sich unbedingt auf den Weg machen. »Keine Sorge, da gibt es nichts, was du nicht schaffen könntest. Darrin
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