Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Refektorium war ein langer Raum mit vielen Fenstern, Tischen und Bänken und einer offenen Theke an einem Ende. Viele Menschen befanden sich hier; etliche stellten sich mit Tabletts an, andere saßen an einem der Tische und aßen. Wieder andere standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich miteinander, oder sie lasen allein über ihren Tellern. Viele trugen ungebleichte Leinenhemden mit grünen oder blauen Borten an Hals und Saum oder einen kurzen Mantel wie Darrin über den üblichen Kleidern. Nur wenige – vielleicht neun oder zehn im ganzen Saal – steckten in Mänteln, die bis zum Boden reichten, und es schien Gair, als würden sie von allen mit Respekt behandelt.
»Was bedeuten die Farben?«, fragte er, als sie zwei freie Plätze an einem der Tische gefunden und sich mit ihren beladenen Tabletts gesetzt hatten.
»Sie zeigen Ränge und Fachgebiete an.« Darrin spießte eine Kartoffel mit seiner Gabel auf und wedelte damit in der Luft herum, während er erklärte: »Sobald du ein paar grundlegende Dinge beherrschst, wirst du als Novize eingestuft, und das bedeutet ein Hemd mit einer Borte – Grün für die Heiler, Blau für den Rest von uns, die normalen Gaeden . Der nächste Schritt ist der zum Lehrling, was ein farbiges Hemd bedeutet, dann zum Adepten, der Anspruch auf einen Mantel hat.« Die Kartoffel verschwand im Ganzen in Darrins Mund.
»Du bist also ein Adept?« Nun machte sich auch Gair über sein Essen her. Es war ein guter Schweinebraten mit dicker Mostsoße.
Der Belisthaner zupfte an seinem Mantel und grinste. »Frisch befördert. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um so weit zu kommen.«
»Und die langen Mäntel?«
»Sie sind für die Meister. Dazu wirst du, wenn du wirklich gut bist. Die Meister unterrichten hauptsächlich, aber wenn es viele Schüler gibt, übernehmen die Adepten manchmal eine Novizenklasse.«
»Das klingt alles sehr formell.«
»Nicht wirklich. Es hilft bloß, die Hierarchie aufrechtzuerhalten. Abgesehen von den Graden gibt es nur sehr wenige Regeln. Du musst pünktlich sein und dein Bestes geben, und es sind keine Kontakte zwischen Lehrern und Schülern erlaubt, die über die Erfordernisse des Unterrichts hinausgehen.«
Darrin hob bedeutungsvoll die Brauen, und Gair musste grinsen. Im Mutterhaus hatte es ein paar Novizen gegeben, die nur für den halben freien Tag in der Woche gelebt hatten und übermüdet und grinsend in den Schlaftrakt zurückgekehrt waren. Dieser Nachmittag wog es ihnen auf, dass sie dafür regelmäßig ausgepeitscht wurden. Sie waren selten lange geblieben. Er hatte nie den Kniff gelernt, ein scheues Lächeln für etwas zu nutzen, was ihm Grund geben konnte, die nächste Beichte zu fürchten.
»Ich werde versuchen, das nicht zu vergessen«, sagte er und verbarg sein Erröten hinter dem erhobenen Becher.
»Was ist deine stärkste Gabe?«
»Ich bin mir nicht sicher. Auf dem Weg hierher hat mir Alderan einige Lektionen erteilt, aber ich glaube, wir sind nur an der Oberfläche geblieben.«
Keine der Übungen, die Gair hatte machen müssen, war schwierig für ihn gewesen, aber nun, da er in der Lage war, den Sang zu berühren, war er sich dessen gewaltiger Größe bewusst. Seit dem Sturm hatte er immer, wenn er den Sang rief, das Gefühl, mit einer Teetasse den Ozean ausschöpfen zu wollen.
»Das wirst du vermutlich morgen herausfinden, wenn du auf die Probe gestellt wirst. Vielleicht stufen sie dich sofort höher ein.«
»Was ist das denn für ein Test? Was muss ich dabei tun?« Mit dem letzten Stück Brot nahm er die restliche Soße von seinem Teller auf und fragte sich, ob es unhöflich wäre, sich einen Nachschlag zu holen.
Darrin war bereits fertig und machte sich über einen Teller mit Früchten und Käse her, obwohl er die meiste Zeit geredet hatte. Er schluckte und sagte: »Es ist eine ganz offene und ehrliche Sache. Die Meister werden dir Aufgaben stellen, die du erfüllen musst, und auf diese Weise finden sie heraus, was du kannst und wie stark du bist. Meine Stärke ist das Feuer. Deswegen bin ich hierhergeschickt worden.«
»Ich habe das deutliche Gefühl, dass eine bestimmte Geschichte dahintersteckt.«
Der Belisthaner sah plötzlich verlegen drein und spielte mit einem Apfelkern auf seinem Teller. »Ich habe den Hut meines Onkels in Brand gesetzt.«
Gair hätte sich beinahe an seinem Wein verschluckt.
»Na ja, es war kein richtiges Feuer, sondern nur eine Illusion. Du weißt schon: Rauch und knisternde Flammen. Es hat sehr
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