Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
seiner Pflegemutter als Vergleich.
»Vor dem Büro des Sachverständigen für Edelsteine in Pensaeca habe ich einen Mann getroffen, der es mir gesagt hat.«
»Du hast den Stein schätzen lassen?«
»Nein, dieser Mann hat es getan. Daher wusste er, dass es sich nur um einen Kristall handelt.«
»Deine Erklärungen sind nicht sehr erhellend, Darrin.«
»Tut mir leid, aber ich kann es selbst nicht ganz glauben. Der Stein ist so wunderschön.«
»Er hat dir auf alle Fälle den Kopf verdreht – und dabei glaubte ich, dass das nur Mädchen mit langen Zöpfen könnten. Steckst du dieses segensreiche Ding jetzt endlich weg und erzählst mir die ganze Geschichte, bevor ich sie dir Stück für Stück aus der Nase ziehen muss?«
Geistesabwesend wühlte Darrin in seiner Hosentasche und holte einen kleinen purpurfarbenen Samtbeutel heraus. Er löste die Schnüre, aber anstatt den Stein hineinzulegen, wurde Darrin abermals von seinem Glanz bezaubert.
Gair knurrte.
»In Ordnung, sei nicht so ungehalten mit mir. Ich sehe ihn doch nur an.«
»Darrin, ich hasse halb erzählte Geschichten. Es macht mich verrückt, wenn ich das Ende nicht erfahre. Früher bin ich die ganze Nacht aufgeblieben, weil ich es nicht ertragen konnte, ein Buch vor dem Ende wegzulegen. Um der Liebe zu allen Heiligen willen …« Gair griff nach dem kleinen Beutel.
Blitzschnell zog Darrin die Hand zurück. »Er gehört mir!«
Gair hob beschwichtigend die Hände und setzte sich auf seinem Stuhl zurück.
Darrin legte den Stein in den Beutel, zog die Schnüre zu und machte ein finsteres Gesicht. Dann steckte er den Beutel wieder in die Tasche.
»Erzählst du mir jetzt, wie du an diesen Schatz gekommen bist?«, fragte Gair.
So schnell, wie er böse geworden war, hellte sich Darrins Miene wieder auf. »Tut mir leid, Gair, ich wollte nicht grob zu dir sein. Ich bin bloß so aufgeregt. So etwas ist mir noch nie passiert. Wenn mein ältester Bruder in einen Fluss fiel, kam er mit einem Lachs in jeder Hosentasche wieder heraus. Wenn ich hineingefallen wäre, wäre ich ertrunken.«
»Kannst du nicht schwimmen?«
»Nein, aber darum geht es jetzt nicht. Du weißt ganz genau, was ich meine!« Darrin runzelte die Stirn und umfasste seinen Kopf mit beiden Händen. »Was wollte ich sagen? Ach ja, ich war also in Pensaeca und bin über den Markt gegangen, als ein Mann aus dem Büro des Sachverständigen für Edelsteine kam. Dieser kleine Samtbeutel ist ihm aus der Tasche gefallen, als er sein Geld weggesteckt hat.« Der Beutel befand sich schon wieder in seiner Hand, und er wirbelte ihn an den Schnüren herum. »Ich bin ihm nachgelaufen und wollte ihn ihm zurückgeben. Da hat er mir gesagt, der Sachverständige habe ihm mitgeteilt, es handle sich bei dem Stein bloß um einen Kristall, und ich könne ihn für meine Ehrlichkeit behalten. ›Das ist ein hübsches Andenken für deine Liebste‹, meinte er. Glaubst du, es würde ihr gefallen?«
»Renna? Sie ist deine Liebste und nicht meine.«
»Ich habe darüber nachgedacht, etwas zu sparen und ihn in einen Ring fassen zu lassen, den ich ihr zu Sankt Winifrae schenken könnte. Mädchen lieben Schmuck, nicht wahr?«
»Ich habe zehn Jahre in einem Männerorden verbracht, Darrin. Ich bin der Letzte, den du im Hinblick auf Frauen um Rat bitten solltest.« Gair lächelte. »Aber eines weiß ich. Wenn du diesen Stein in einen Ring fassen lässt, wird er sehr nach einem Verlobungsring aussehen.«
Darrin fing den wirbelnden Beutel auf, schaute auf ihn herab und betastete den weichen Stoff. »Wir gehen jetzt schon ein Jahr miteinander«, sagte er. In seinen braunen Augen blitzte es jungenhaft und hoffnungsvoll. »Glaubst du, sie würde Ja sagen?«
»Finde es heraus und frag sie.«
»Gair!«, jammerte der Belisthaner.
Gair lachte. »Ich bin sicher, dass sie begeistert sein wird.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Wirklich.«
Darrin steckte den Beutel mit dem Edelstein wieder in seine Tasche, setzte sich endlich und betrachtete das Schachbrett. »Bin ich am Zug?«
»Du nimmst Weiß.«
Seine Hand schwebte zögernd über einem der Bauern, und er nagte an seiner Lippe. »Wirklich, Gair, da ist noch etwas, was ich dich gern fragen möchte. Würdest du mein Trauzeuge sein?«
Gairs Verwirrung machte reiner Freude Platz. Er streckte die Hand aus. »Es wäre mir eine Ehre.«
»Ich könnte natürlich meine Brüder fragen, aber sie sind zu Hause, und das ist weit weg von hier. Du hingegen bist hier, und du bist mein Freund,
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