Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
und, nun ja …« Endlich bewegte Darrin seinen Bauern, hob dann den Blick und sah, dass Gair die Hand zu ihm ausgestreckt hielt. »Du wirst es tun? Ich danke dir so sehr! Versprich mir nur, dass du mich auffängst, wenn ich ohnmächtig werde.«
»Das verspreche ich.« Gair schüttelte ihm die Hand. Es war eine Ehre, Trauzeuge zu sein, vor allem, wenn man der Familie vorgezogen wurde. Die beste Familie sind die Freunde eines Mannes , hatte Alderan einmal gesagt. Er verspürte einen Knoten im Bauch, wollte aber nicht allzu genau darüber nachdenken. So griff er nach einem Bauern und machte seinen eigenen Eröffnungszug.
»Du wirst Renna doch nichts verraten, oder?«, fragte Darrin und reagierte auf den Zug. »Es soll eine Überraschung werden.«
»Ich werde kein Sterbenswörtchen sagen.«
»Ich wusste, dass ich dir ein Geheimnis anvertrauen kann. Das werde ich dir nie vergessen, Gair. Du bist ein wahrer Freund.«
Darrins Hand stahl sich wieder in die Hosentasche und tastete nach dem Stein, während die andere seinen Springer zu einem kühnen Angriff ins Feld schickte. Gair betrachtete düster seine eigenen Spielfiguren und machte sich darauf gefasst, dass es wieder einmal ein hartes Spiel werden würde.
Er war zu spät aufgebrochen. Jetzt waren die Tore geschlossen, und es begann zu regnen. Verdammt! Enttäuscht schlug Darrin mit der flachen Hand gegen das feste, geteerte Holz; dann trat er einen Schritt zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Wie sollte er jetzt hineingelangen? Der Wind blies scharf und schnitt ihm geradewegs durch die rasch feucht werdende Kleidung. Er erzitterte. Wenn er auch nur eine Unze Verstand in seinem Kopf hätte, dann hätte er einen Mantel mitgenommen.
Er konnte entweder hier stehen bleiben und jede Minute nasser werden, oder er konnte an der Mauer entlanggehen und nachsehen, ob es noch einen anderen Eingang gab. Links oder rechts? Links wäre das Beste; vielleicht fand er dort eine Stelle, wo er über die Mauer des Küchengartens klettern und auf der anderen Seite in einen Komposthaufen springen konnte, der seinen Fall abmildern würde. Von dort aus wäre es nicht schwierig, wieder ins Innere zu schlüpfen. Seine Stiefel waren bereits schlammig; ein paar Kartoffelschalen konnten es nicht mehr schlimmer machen.
Es war wirklich seine eigene Schuld. Er hätte nicht so lange bleiben sollen. Aber irgendwie gab es immer noch ein Thema, über das man reden konnte, und das Gespräch war so spannend gewesen, dass er jedes Zeitgefühl verloren und nicht einmal die Stundenglocken gehört hatte. Jetzt war es schon nach zwei Uhr in der Frühe, und er sollte bereits seit Stunden im Bett liegen. Morgen würde er sehr müde sein.
Verdammt, der Regen wurde immer heftiger. Darrin schlug den Kragen hoch und rannte durch den Wald am Rande des Grundstücks. Die Bäume boten ein wenig Schutz, aber es fielen ihm auch fette Tropfen von den Ästen geradewegs auf den Kopf. Jetzt wurde ihm allmählich kalt. Er hasste die Kälte. Er hätte unbedingt einen Mantel mitnehmen sollen.
Leider war die Mauer des Küchengartens ein paar Fuß zu hoch für ihn. Darrin versuchte an ihr emporzuspringen, aber vergeblich. Er schaffte es nicht einmal, mit den Fingerspitzen die Mauerkrone zu erreichen. Seine Finger glitten an dem feuchten Stein ab, und er riss sich die Handflächen auf. Er saugte an der blutigsten Schürfwunde und versuchte, dadurch den stechenden Schmerz zu vertreiben. Also nicht die Küchengartenmauer. Wo sonst konnte er es versuchen? Natürlich: am Aussätzigentor hinter der Kapelle, wo die Unglücklichen zur Beichte kamen, ohne vom Rest der Gemeinde gesehen zu werden. Nach dem Kirchenrecht durfte das Aussätzigentor niemals verschlossen werden, außer in Zeiten höchster Gefahr, denn der Segen Eadors durfte auch den erbärmlichsten und kränksten Schäfchen ihrer Herde nicht verweigert werden.
Nun hatte Darrin neuen Mut geschöpft. Er eilte durch die Finsternis zur Kapelle an der Ostseite und fuhr dabei mit den Fingerspitzen an der Mauer entlang, damit er nicht zu weit in den Wald abschweifte. Der Regen fiel heftig, als er die Fenster der Kapelle erblickte, hinter denen nur das ewige Licht glühte, und da war das Tor in der Mauer, ein schmuckloses hölzernes Ding, das kaum höher als seine Schultern war. Er tastete nach der Klinke. Nichts. Angst machte seine Finger schneller; er versuchte es noch einmal und tastete von den Angeln bis hinunter zum nassen Gras, aber er fand keine Klinke. Wie
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