Die Liga der Siebzehn: Unter Strom (German Edition)
»Setz dich.«
Ich setzte mich hin, und sie nahm neben mir Platz. Für eine ganze Weile hielt sie einfach nur den Kopf in den Händen. Die Stille war unerträglich. Schließlich sah sie auf. »Michael, mir fehlen die Worte. Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, unsere alte Heimat zu verlassen, alle Freunde, die wir in Kalifornien hatten, hinter uns zu lassen, um hier in einer neuen Stadt von vorne anzufangen, nur damit niemand irgendetwas über dich herausfinden kann? Ich habe einen gut bezahlten Job in einer Anwaltskanzlei aufgegeben, um Kassiererin in einem Supermarkt zu werden.«
Ich senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Mom.«
»Nein, eine Entschuldigung macht es nicht besser. Wer weiß noch davon?«
»Die Jungs von gestern. Und Taylor.«
»Wer ist Taylor?«
»Die Cheerleaderin, die mich gesehen hat.«
»Hast du sie heute in der Schule getroffen?«
»Ja.«
»Hat sie dich ausgefragt über das, was passiert ist?«
Ich schluckte. »Ich war bei ihr zu Hause.«
Meine Mom riss die Augen auf. »Bitte, sag mir nicht, dass du mit ihr darüber gesprochen hast.«
Ich nickte langsam.
Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Michael, was hast du dir dabei gedacht? Jetzt müssen wir vielleicht hier auch alles abbrechen und wieder von vorne anfangen. Ich bin so müde! Ich weiß nicht, ob ich das noch mal schaffe.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen. »Es tut mir leid, Mom. Das wollte ich alles nicht … «
»Michael, es kommt nicht darauf an, was du wolltest und was nicht, es kommt darauf an, was du tust. Bitte, erklär mir, warum du den beiden das erzählt hast und damit alles riskierst.«
Eine Weile saß ich nur schweigend da. Doch plötzlich schoss es aus mir heraus. »Ich habe es satt, dass alle in der Schule mich für diesen Idioten halten, der verrückte Grimassen zieht und seltsame Laute von sich gibt. Ich hab die Schnauze voll davon, ständig schikaniert zu werden. Ich hab die Schnauze voll davon, nicht zeigen zu können, wer ich wirklich bin.
Ostin ist der einzige Freund, den ich habe. Ihm ist mein Tourette egal oder die Tatsache, dass ich Elektrizität in mir habe. Er mag mich, weil ich bin, wer ich bin.« Ich sah ihr in die Augen. »Ich will doch nur, dass jemand die Wahrheit über mich weiß und trotzdem mit mir befreundet ist.«
Sie sah zu Boden und schwieg. Nach einer Weile nahm sie meine Hand. »Michael, ich weiß, es ist nicht einfach, anders zu sein. Ich mache dir keine Vorwürfe wegen deiner Gefühle. Es ist nur so, dass die meisten Menschen mit deiner besonderen Gabe nichts anfangen können.«
»Du glaubst ernsthaft, es wäre eine Gabe, Mom? Glaub mir, das ist es nicht. Es erinnert mich doch immer nur wieder daran, dass ich ein totaler Freak bin.«
»Michael, sag das nicht.«
»Warum? So nennen sie mich doch!«
»Wer nennt dich so?«
»Die Kinder im Ferienlager letzten Juni zum Beispiel. Die standen um mich herum und haben gesagt: › Mal sehen, was der Freak als Nächstes tut. ‹ Und die wissen nicht mal was von meiner Elektrizität, die meinten nur meine Tics.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Warum hast du mir das nie erzählt?«
»Weil du schon genug hast, um das du dich sorgen musst.«
Sie schien nicht zu wissen, was sie noch sagen sollte.
»Ich halte es einfach nicht mehr aus, dass sie mich grundlos fertigmachen, nur weil sie denken, dass man es mit mir ja machen kann. Ich halte es nicht aus, dass ich sie mit einer Handbewegung dazu bringen könnte aufzuhören, es aber nicht tue. Und weißt du, wen ich noch mehr hasse als die, die mich fertigmachen? Ich hasse mich selbst dafür, dass ich es zulasse. Ich halte es einfach nicht mehr aus, ein Niemand zu sein.«
Meine Mutter rieb sich die Augen. »Du bist kein Niemand, Michael. Du bist ein großartiger Junge mit einem großen Herzen.« Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn »Ich sollte mich bei dir entschuldigen. Ich habe mich geirrt, als ich sagte, dass es keine Rolle spielt, was du wolltest und was du nicht wolltest. Manchmal können wir nicht wissen, was richtig ist und was nicht. Wir können nur wissen, dass wir vorhatten, das Richtige zu tun und dass wir einen richtigen Grund hatten.«
»Woher wissen wir, ob es der richtige Grund ist?«
Meine Mutter sah mir in die Augen. »Manchmal ist Liebe der Grund, warum wir vom Kurs abkommen, trotzdem verirren wir uns nicht.« Sie legte einen Arm um mich. »Michael, es tut mir leid, dass ich sauer auf dich war. Ich hatte einfach nur Angst. Ostin war bis jetzt ein
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