Die Lilie im Tal (German Edition)
aristokratische Gesellschaft über den Fall ihres schönsten Engels bestürzt war. Lady Dudley stieg von ihrer Wolke am englischen Himmel nieder, fügte sich in ihr Geschick und wollte durch ihre Aufopferung die in den Schatten stellen, deren Tugend diese berühmte Katastrophe verursacht hatte. Lady Arabella fand Vergnügen daran, mir wie der Versucher auf der Zinne des Tempels die reichsten Länder ihres heißen Reiches zu zeigen.
Lesen Sie, ich beschwöre Sie, meinen Bericht mit Nachsicht! Es handelt sich hier um eins der interessantesten Probleme des Menschenlebens, um eine Krise, wie sie die meisten Menschen durchzumachen haben und die ich erklären möchte, sei es auch nur, um einen Leuchtturm auf dieser Klippe zu entzünden. Diese schöne Lady, so schlank, so zart, diese Frau mit dem Milchteint, so schwank, so zerbrechlich, so sanft, mit einschmeichelndem Gesicht, das von rötlichblondem, feinem Haar eingerahmt war, dies Wesen, dessen Glanz schillernd und flüchtig schien, hatte eine eiserne Natur. Das feurigste Pferd widersteht ihrem nervigen Handgelenk nicht, ihrer scheinbar so weichen Hand, die nichts ermüdet; sie hat einen Fuß, leicht wie eine Hindin, einen kleinen, sehnigen, hagern Fuß von unglaublich anmutiger Form; ihre Kraft scheut im Kampfe vor nichts zurück; kein Mann kann ihr zu Pferde folgen, sie würde den Preis bei einem Hürdenrennen über Zentauren davontragen. Sie schießt auf Damwild und Hirsche, ohne ihr Pferd anzuhalten. Ihr Körper weiß nichts von Schweiß. Sie saugt das Feuer aus der Atmosphäre und muß im Wasser leben, wenn sie überhaupt leben will. Auch ist ihre Leidenschaft rein afrikanisch, ihre Sehnsucht rast wie Wüstenwind, in ihren Blicken malen sich die glühenden Weiten der Wüste voll Himmelsblau und Liebe, mit nie getrübter Atmosphäre, mit ihren kühlen Sternennächten. Welch ein Gegensatz zu Clochegourde! Der Orient und der Okzident! Die eine schlürft alle Feuchtigkeit aus der Luft, die andere strömt ihre Seele aus und hüllt ihre Getreuen in einen lichten Dunstkreis; die eine lebhaft und schlank, die andere langsam und üppig. – Kurz, haben Sie schon einmal über die allgemeine Bedeutung der englischen Sitten nachgedacht? Bedeuten sie nicht die Vergöttlichung der Materie, einen bestimmten, bewußten und weise angewandten Epikurismus? Was es auch sage oder tue, England ist materialistisch, vielleicht ohne es zu wissen, es macht Ansprüche auf Religion und Moral, die den göttlichen Atem nicht kennen und aus denen die katholische Seele abwesend ist, deren befruchtende, wohltätige Wirkung sich durch nichts ersetzen läßt, selbst nicht durch die bestgespielte Heuchelei. Es besitzt im höchsten Maße die Lebenskunst, auch die kleinsten Einzelheiten zu vervollkommnen, diese Kunst, die zum Beispiel ihren Pantoffel zum köstlichsten der Welt macht, ihrer Wäsche einen undefinierbaren Duft verleiht, die Schränke mit Zedernholz auslegt; die zur bestimmten Stunde einen trefflichen, geschickt zubereiteten Tee eingießt, jedes Stäubchen verbannt, von unten bis oben Teppiche auf die Stufen legt, selbst die Kellerwände tüncht, den Klopfer an der Tür blank putzt, die Federn am Wagen geschmeidig macht, kurz, die aus dem alltäglichen Leben eine nahrhafte, sanfte, glänzende und reinliche Hülle macht und darin die Seele im Genuß erstickt. Diese Kunst führt zu der schrecklichen Eintönigkeit satten Wohlbehagens, zu einem Leben ohne Gegensätze, woraus jede Ursprünglichkeit verbannt ist, diese Kunst macht einen zur Maschine. So lernte ich mitten in diesem englischen Luxus eine Frau kennen, die vielleicht einzig in ihrem Geschlecht dastand, die mich in die Schlingen einer neu auflebenden Liebe lockte und deren verschwenderischer Freigebigkeit ich strenge Enthaltsamkeit entgegensetzte. Eine solche Liebe hat eine erdrückende Schönheit, eine ihr eigene Elektrizität, die uns oft durch die elfenbeinernen Tore ihres Halbschlafs in alle Himmel führt, die einen auf geflügeltem Zelter durch die Lüfte trägt. Eine schrecklich undankbare Liebe, die lachend über die Leichen derer schreitet, die sie gemordet hat; Liebe ohne Gedächtnis, grausame Liebe, die der englischen Politik gleicht, die fast alle verführt. Das Problem ist Ihnen schon klarer. Der Mensch besteht aus Materie und Geist; in ihm hört die Tierheit auf und beginnt das Göttliche. Daher der Kampf, der sich in uns, allen abspielt zwischen unserer künftigen Bestimmung, die wir ahnen, und unsern Instinkten aus
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