Die Lilie im Tal (German Edition)
nächtlichen Unternehmungen ein Pferd. Ich besaß einen Araber, den Lady Esther Stanhope der Marquise geschickt hatte und den diese gegen das berühmte Bild von Rembrandt austauschte, in dessen Besitz ich auf so merkwürdige Weise gelangt war.
Ich schlug den Weg ein, den ich sechs Jahre zuvor zu Fuß gegangen war, und hielt unter dem Nußbaum das Pferd an. Von dort sah ich Madame de Mortsauf im weißen Kleide am Rande der Terrasse. Alsbald jagte ich mit Blitzesschnelle zu ihr hin und war in wenigen Minuten an der Mauer angelangt. Ich war in gerader Linie geritten, wie in einem Wettrennen. Sie hörte die gewältigen Sätze der ›Wüstenschwalbe‹, und als ich an der Terrasse plötzlich anhielt, sagte sie: »Ach, da sind Sie!«
Diese vier Worte schmetterten mich nieder; sie wußte von meinem Abenteuer. Wer hatte ihr Kunde davon gegeben? Ihre Mutter, deren gemeinen Brief sie mir später zeigte. Die gleichgültige, schwache Stimme, die früher so lebensvoll geklungen hatte, der matte, blasse Ton verrieten einen reifen Schmerz, hauchten einen Duft wie von welken, toten Blüten. Der Sturmwind der Untreue, vergleichbar den Hochwassern der Loire, die ein Stück Land für alle Zeiten unter Sand begraben, war über ihre Seele gebraust und hatte eine Wüste geschaffen, da, wo früher reiche Auen grünten. Ich führte mein Pferd durch die kleine Pforte, es legte sich auf meinen Befehl auf den Rasen, und die Comtesse, die langsamen Schrittes herangekommen war, rief: »Das schöne Tier!«
Sie stand da mit gekreuzten Armen, damit ich ihre Hand nicht ergreifen könne; ich erriet ihre Absicht.
»Ich will Monsieur de Mortsauf benachrichtigen«, sagte sie und ging.
Ich stand da wie angewurzelt, beschämt, sah, wie sie sich entfernte, immer edel in ihrer Haltung, gemessen stolz, weißer, als ich sie je gesehen; aber an der Stirn trug sie das gelbe Siegel bitterster Melancholie und neigte das Haupt wie eine regenschwere Lilie.
»Henriette!« rief ich aus mit der Verzweiflung eines Mannes, der sich sterben fühlt.
Sie wandte sich nicht um, blieb nicht stehen, verschmähte mir zu sagen, daß sie mir diesen Namen entzogen habe, daß sie nicht mehr darauf antwortete; sie ging unbeirrt weiter. Wohl werde ich mich in diesem irdischen Jammertal, wo Millionen Völker in den Staub gesunken sind, deren Seele jetzt über dem Erdball schwebt, in meiner ganzen Klarheit fühlen, unter dieser Menge, die vom Ruhm der unendlichen leuchtenden Himmelsgefilde bestrahlt ist; aber ich werde mich noch lange nicht so zerknirscht fühlen wie angesichts dieser weißen Gestalt, die hinaufstieg, wie in den Straßen einer Stadt eine Überschwemmung unerbittlich steigt, die gleichmäßigen Schrittes zu ihrem Schlosse Clochegourde emporschritt, der Stätte des Ruhms und der Qual dieser christlichen Dido! Ich verfluchte Arabella mit einer Verwünschung, die sie auf der Stelle getötet hätte, wenn sie sie hätte hören können. Sie, die mir alles geopfert hatte, wie man alles einem Gotte opfert! Ich war versunken in eine Welt schwermütiger Gedanken, sah rings um mich nur Unendlichkeit des Schmerzes. – Dann kamen sie alle herunter. Jacques lief stürmisch, wie Knaben in seinem Alter laufen. Madeleine, eine Gazelle mit ersterbenden Blicken, begleitete ihre Mutter. Ich drückte Jacques an mein Herz und goß über ihn die Flut meiner Empfindungen und die Tränen aus, die seine Mutter verschmäht hatte. Monsieur de Mortsauf kam auf mich zu, streckte mir beide Arme entgegen, drückte mich an sich, küßte mich auf beide Wangen und rief aus: »Felix, ich habe erfahren, daß ich Ihnen das Leben verdanke!«
Madame de Mortsauf kehrte uns unterdessen den Rücken zu unter dem Vorwand, der erstaunten Madeleine das Pferd zeigen zu wollen. »Zum Teufel, so sind die Weiber!« rief der Comte zornig aus; »sie bewundern Ihr Pferd.«
Madeleine kehrte sich um. und kam auf mich zu. Ich küßte ihr die Hand, während ich die errötende Comtesse ansah.
»Sie scheint viel wohler, unsere Madeleine.« – »Armes Mädel!« sagte die Comtesse und küßte sie auf die Stirn. »Ja, zur Zeit geht's ihnen allen gut«, sagte der Comte, »ich allein, mein lieber Felix, bin zerrüttet wie ein alter Turm, der bald einstürzt.« – »Es scheint, der General hat noch immer seine düstern Grillen«, erwiderte ich, zu Madame de Mortsauf gewendet. »Wir haben alle unsere ›blue devils‹«, antwortete sie. »Heißt so nicht der englische Ausdruck?«
Wir gingen zusammen den Weg zum Weinberg
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