Die Lilie im Tal (German Edition)
monatlich antwortete. Mein zurückgezogenes und arbeitsreiches Leben glich jenen dicht bewachsenen, blumenübersäten, weltverlassenen Winkeln, die ich noch kürzlich in den Wäldern bewundert hatte, als ich in den zwei letzten Wochen neue Gedichte aus Blumen machte.
O ihr, die ihr liebt, legt euch solche schöne Verpflichtungen auf! Unterwerft euch Regeln, wie sie die Kirche den Christen für jeden Tag vorschreibt! Es ist etwas Großes um die strenge Ordensregel, die die römische Kirche geschaffen hat; sie gräbt die Spuren der Pflicht immer tiefer in die Seele durch die Wiederholung von Handlungen, die Hoffnung und Furcht wachhalten. Die Gefühle fließen, immer lebendig, durch diese Kanäle, die das Wasser leiten und reinigen, die immer das Herz erfrischen und das Leben mit den reichen Schätzen eines verborgenen Glaubens befruchten, der die göttliche Quelle ist, wo sich der eine Gedanke einer einzigen Liebe vervielfältigt.
Meine Liebe, die ins Mittelalter zurückführte und an die Ritterzeit erinnerte, wurde bekannt. Vielleicht unterhielten sich der König und der Duc de Lenoncourt darüber, und vom Hofe aus verbreitete sich die gleichzeitig romantische und schlichte Geschichte eines jungen Mannes, der eine weltabgeschiedene schöne Frau fromm verehrte, eine Frau, die groß in ihrer Einsamkeit, treu auch ohne zwingende Pflicht war: so hieß es im ganzen Faubourg Saint-Germain. In den Salons wurde ich der Gegenstand lästiger Beobachtung, lästig, weil ein zurückgezogenes Leben Vorzüge birgt, die, sobald man sie erprobt, den Glanz der Berühmtheit unerträglich machen. Wie Augen, die nur an sanfte Farben gewöhnt sind, sich von grellem Licht verletzt fühlen, so gibt es gewisse Gemüter, denen heftige Kontraste mitfallen. So war ich damals; heute wundern Sie sich vielleicht darüber. Aber haben Sie Geduld: die Wunderlichkeiten des Vandenesse von heute werden ihre Erklärung finden! Ich sah also, daß die Frauen wohlwollend und die Gesellschaft sehr entgegenkommend zu mir waren. Nach der Verheiratung des Duc de Berry nahm der Hof wieder prunktvolle Formen an, die französischen Feste kehrten wieder. Die Besetzung durch fremde Truppen hatte aufgehört, der Wohlstand kehrte zurück, man konnte sich wieder freuen. Leute von hohem Rang und bedeutendem Vermögen strömten aus allen Teilen Europas in die Hauptstadt der Intelligenz, wo sich die Vorzüge und die Laster anderer Länder vergrößert und durch den französischen Geist verschärft zusammenfinden. Fünf Monate nach meiner Abreise von Clochegourde, mitten im Winter, schrieb mir mein guter Engel einen verzweifelten Brief, worin sie von einer schweren Krankheit ihres Sohnes erzählte, von der er zwar genesen war, die aber für die Zukunft Schlimmes befürchten ließ. Der Arzt hatte gesagt, daß man die Lunge schonen müsse. Das war ein schreckliches Wort. Von einem Arzt gesprochen, konnte es alle Stunden einer Mutter in Dunkel hüllen. Kaum atmete Henriette wieder auf, kaum war Jacques auf dem Wege der Besserung, als seine Schwester neue Sorgen heraufbeschwor. Madeleine, diese hübsche Pflanze, die in der mütterlichen Pflege so wohl gediehen war, machte die Krise ihres Alters durch, die aber für eine so zarte Gesundheit bedenklich war. Von der langen Anstrengung niedergeschlagen, die ihr Jacques' Krankheit verursacht hatte, stand die Comtesse diesem neuen Ereignis mutlos gegenüber, und der Anblick dieser beiden lieben kleinen Wesen machte sie ganz unempfindlich für die verdoppelten Qualen, die ihres Mannes Wesen ihr bereitete. So brausten immer trübere und drohendere Stürme über sie hin und vernichteten mit ihren derben Angriffen die in ihrem Herzen zutiefst wurzelnden Hoffnungen. Sie hatte sich übrigens der Tyrannei des Comte geopfert und, des Kampfes müde, das ganze gewonnene Gelände wieder preisgegeben. ›Als meine ganze Kraft sich um meine Kinder mühte‹, schrieb sie mir, ›konnte ich sie nicht mehr gegen Monsieur de Mortsauf ins Feld führen. Wie hätte ich mich seiner Übergriffe erwehren können, da ich gegen den Tod ankämpfte! Wenn ich heute schwach und allein zwischen den zwei melancholischen Wesen, die mich begleiten, einhergehe, fühle ich einen unüberwindlichen Abscheu gegen das Leben. Wie sollte ich einem Schicksalsschlag ausweichen, welchen zarten Gefühlen könnte ich nachgeben, wenn ich Jacques unbeweglich auf der Terrasse stehen sehe: das Leben spricht nur noch aus seinen schönen Augen, die in dem mageren Gesichtchen
Weitere Kostenlose Bücher