Die Lilie im Tal (German Edition)
früheren Existenzen, die wir noch nicht ganz abgestreift haben: daher der Widerstreit zwischen fleischlicher und göttlicher Liebe. Der eine löst sie zur Einheit auf, der andere verzichtet; der eine durchforscht das ganze weibliche Geschlecht, um dort die Befriedigung seiner niedern Gelüste zu finden, der andere schafft sich ein weibliches Ideal in einer einzigen Frau, die für ihn die Welt darstellt. Die einen schwanken unentschieden zwischen den Wollüsten des Leibes und denen des Geistes hin und her, die andern vergeistigen das Fleisch und fordern von ihm, was es nicht geben kann. Behalten Sie diese allgemeinen Merkmale der Liebe im Auge; ziehen Sie ferner die Antipathien und Sympathien in Betracht, die in der Verschiedenheit der Naturen begründet sind und die gegebene Versprechungen zunichte machen zwischen Leuten, die sich noch nicht auf die Probe gestellt haben; denken Sie endlich an die trügerischen Hoffnungen derer, die besonders in Gedanken, Gefühlen oder in Handlungen leben und die in ihrem Beruf verirrt und verkannt sind, eine Mischung zweier gleich zwiespältiger Wesen: dann werden Sie Nachsicht haben für die traurigen Geschicke, denen die Gesellschaft mitleidlos begegnet. Nun, Lady Arabella befriedigt die Instinkte, Organe, Gelüste, Laster und Tugenden der feinkörnigen Materie, woraus wir gebildet sind. Sie war die Herrin meines Leibes, Madame de Mortsauf war die Braut meiner Seele. Die Liebe, welche die Geliebte befriedigt, hat Grenzen, denn die Materie ist begrenzt; ihre Fähigkeiten und Kräfte sind bemessen und können der Übersättigung nicht entrinnen. Oft fühlte ich eine unbestimmte innere Leere in Paris bei Lady Dudley. – Die Unendlichkeit ist das Gebiet des Herzens; in Clochegourde war die Liebe unbegrenzt. Ich liebte Lady Arabella leidenschaftlich, und so sicher die Bestie in ihr großartig war, so besaß sie auch einen überlegenen Verstand; ihre spöttische Unterhaltung umfaßte alles. Aber Henriette betete ich an. Des Nachts weinte ich vor Glück, des Morgens weinte ich vor Reue. – Es gibt Frauen, die schlau genug sind, ihre Eifersucht hinter engelhafter Güte zu verbergen; es sind die, die gleich Lady Arabella über dreißig Jahre alt sind. Die wissen dann zu fühlen und zu berechnen, allen Saft aus der Gegenwart zu pressen und an die Zukunft zu denken; sie unterdrücken oft berechtigtes Schluchzen mit der Energie des Jägers, der seiner Wunde nicht achtet, wenn er dem Geschmetter des Halali folgt. Ohne von Madame de Mortsauf zu reden, versuchte Arabella sie in meiner Seele zu töten, wo sie sie immer wieder vorfand, und ihre Leidenschaft entfachte sich am Hauch dieser unüberwindlichen Liebe. Um durch Vergleiche zu siegen, die zu ihren Gunsten ausfallen mußten, zeigte sie sich weder argwöhnisch noch zänkisch oder gar neugierig, wie es die meisten jungen Frauen sind. Aber der Löwin gleich, die eine Beute ergriffen und in ihre Höhle geschleppt hat, wachte sie darüber, daß nichts ihr Glück trübe, und hütete mich wie einen ungehorsamen Besiegten. Unter ihren Augen schrieb ich an Henriette; nie las sie eine einzige Zeile; nie suchte sie auf irgendeine Weise die Adresse, die auf meinen Briefen stand, zu ermitteln. Ich war im Vollbesitz meiner Freiheit. Sie schien sich zu sagen: ›Wenn ich ihn verliere, habe ich allein die Schuld.‹ – Und sie stürzte sich stolz auf eine Liebe, so opferfähig, daß sie mir ohne Zögern ihr Leben gegeben hätte, wenn es von ihr gefordert worden wäre. Endlich redete sie mir ein, daß sie sich auf der Stelle töten würde, wenn ich sie verließe. Man mußte sie bei der Gelegenheit die Sitte der indischen Witwenverbrennung rühmen hören, der zufolge die Frau sich auf dem Scheiterhaufen ihres Mannes verbrennen läßt.
»Obwohl in Indien diese Sitte ausschließlich der adligen Kaste vorbehalten und in dieser Hinsicht Europäern wenig verständlich ist, weil sie nicht einsehen können, wieviel hoheitsvolle Verachtung anderer in diesem Vorrechte liegt, so müssen Sie doch zugeben, daß bei unsern verflachten modernen Sitten die Aristokratie sich nur durch Ausnahmegefühle auszeichnen kann. Wie anders kann ich den Bürgern beibringen, daß das Blut in meinen Adern dem ihren nicht gleicht, als dadurch, daß ich anders sterbe als sie? Frauen von niederer Herkunft können auch Diamanten, kostbare Stoffe, Pferde, ja selbst Wappen haben, die doch uns vorbehalten sein sollten: denn heute kauft man sich einen guten Namen. Aber erhobenen Hauptes
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