Die Lilie im Tal (German Edition)
mir blind in allem zu gehorchen, wie es jene elende Lady tut?« – »Ja, alles tu ich, was du willst!« rief sie, von einer Eifersucht getrieben, die sie in einem Augenblick alle Schranken niederreißen hieß, die sie selbst errichtet hatte. »Ich bleibe hier«, sagte ich und küßte sie auf die Augen.
Da erschrak sie. Sie riß sich entsetzt aus meiner Umarmung, und lehnte sich an einen Baum. Dann eilte sie dem Hause zu, ohne sich umzudrehen. Aber ich folgte ihr; sie weinte und betete. Am Rasenplatz ergriff ich ihre Hand und küßte sie ehrfurchtsvoll. Diese unerwartete Unterwürfigkeit rührte sie.
»Trotz allem immer dein!« sagte ich; »denn ich liebe dich, wie dich deine Tante liebte.«
Sie zuckte zusammen und drückte mir heftig die Hand.
»Einen Blick!« sagte ich, »noch einen unserer alten Blicke! – Die Frau, die sich ganz gibt«, rief ich aus, als ich das Licht ihrer Augen in meiner Seele fühlte, »gibt weniger Leben, als du soeben mir geschenkt hast! Henriette, du bist die meist – die einzig Geliebte!« – »Ich werde leben«, sagte sie, »aber auch Sie sollen Heilung suchen und finden!«
Dieser Blick hatte den Eindruck von Arabellas Sarkasmen verwischt. So war ich das Spielzeug der beiden unversöhnlichen Leidenschaften, die ich Ihnen geschildert habe und deren Einfluß ich abwechselnd unterworfen war. Ich liebte einen Engel und einen Dämon. Zwei gleich schöne Frauen, von denen die eine alle Tugenden besaß, die wir aus Wut über unsere Unvollkommenheit geißeln; die andere alle Laster, die wir aus Eigennutz in den Himmel heben. – Ich ging die Avenue hinunter und drehte mich von Zeit zu Zeit um. Madame de Mortsauf stand an den Baum gelehnt zwischen ihren Kindern, die mit den Taschentüchern winkten. Da war ich plötzlich stolz in meinem Herzen, weil ich mich als Herr über zwei so erhabene Geschicke fühlte; weil ich die Sonne – wenn auch nicht in gleicher Art – zweier so außergewöhnlicher Frauen war, daß ich so große Leidenschaften entflammt hatte, die unerwidert, tödlich gewesen wären. Für diese Anwandlung von Hochmut bin ich doppelt gestraft worden – glauben Sie mir! Ich weiß nicht, welcher böse Geist mir eingab, an Arabellas Seite den Augenblick abzuwarten, wo Verzweiflung oder der Tod des Comte mir Henriette zuführen würde; denn Henriette liebte mich noch: ihre Härten, ihre Tränen, ihre Gewissensbisse, ihre christliche Ergebung zeugten von einem Gefühl, das in ihrem wie in meinem Herzen unauslöschlich war. Während ich im Schritt durch die hübsche Avenue ritt und darüber nachdachte, war ich nicht mehr fünfundzwanzig, ich war fünfzig Jahre alt. Gerät der junge Mann nicht viel eher als die Frau in einem Augenblick vom dreißigsten ins sechzigste Lebensjahr? Umsonst versuchte ich, solche häßliche Gedanken zu verscheuchen. Sie ließen mich nicht los. Vielleicht waren sie in den Tuilerien, unter dem Deckgetäfel des königlichen Kabinetts, vorbereitet worden? Wer konnte dem ernüchternden Geist Ludwigs XVIII. widerstehen, der behauptete, daß man nur im reifen Alter wahre Leidenschaften haben könne, weil die Leidenschaft erst schön und wild sei, wenn ein Gefühl der Ohnmacht sich hineinmische, und weil man dann bei jedem Genuß dem Spieler bei seinem letzten Einsatze gleiche. Als ich am Ende der Avenue angelangt war, kehrte ich um und eilte blitzschnell zurück, weil ich Henriette noch immer, und allein, auf ihrem Platze stehen sah. Ich sagte ihr ein letztes Lebewohl, ich vergoß sühnende Tränen, deren Grund ihr verborgen blieb. Aufrichtige Tränen, die unbewußt jener ewig verlorenen schönen Liebe gelten, jenen jungfräulichen Erregungen, jenen Blumen, die im Leben nicht wieder blühen. Denn später gibt der Mann nicht mehr, er nimmt. Er liebt sich selbst in seiner Geliebten, während er in der Jugend seine Geliebte in sich liebte; später impfen wir der Frau, die uns liebt, unsern Geschmack, vielleicht unsere Laster ein – am Morgen des Lebens zwingt uns die Geliebte ihre Tugenden, ihre Zartheiten auf; lächelnd mahnt sie uns zum Schönen und lehrt uns durch ihr Beispiel, Opfer zu bringen. Wehe dem, der nicht seine Henriette gehabt hat! Wehe dem, der nicht eine Lady Dudley gekannt hat! Der eine wird, wenn er heiratet, seine Frau nicht festhalten können, den andern wird vielleicht seine Geliebte verlassen. Aber glücklich der, der jene beiden in einer Frau vereinigt findet – glücklich, Natalie, der Mann, der Sie liebt.
Wieder in Paris angelangt,
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