Die Lilie im Tal (German Edition)
zu verhöhnen. So drückte sie die Liebe auf den Standpunkt eines Bedürfnisses herab, statt sie durch die Begeisterung zum Ideal zu erheben. Sie äußerte weder Furcht noch Bedauern noch Begierde; aber zur bestimmten Zeit flammte ihre Zärtlichkeit wie ein jäh entfachtes Feuer auf und schien ihre Zurückhaltung Lügen zu strafen. Welcher von diesen beiden Frauen sollte ich glauben? Aus tausend Nadelstichen blutend, fühlte ich den gewaltigen Unterschied zwischen Henriette und Arabella ... Wenn Madame de Mortsauf mich einen Augenblick allein ließ, schien sie der Luft den Auftrag zu geben, mich an sie zu erinnern; während sie fortging, sprachen die Falten ihres Kleides zu meinen Augen; wenn sie wiederkam, grüßte des Kleides weiches Rascheln fröhlich mein Ohr. Unendliche Zärtlichkeit lag in der Art, wie sie die Lider senkte, wenn sie zu Boden sah. Ihre wohllautende Stimme war eine ununterbrochene Liebkosung; ihre Gespräche entsprangen einem leitenden Gedanken, sie stimmte stets mit sich selbst überein; ihre Seele war nicht in zwei Welten gespalten, in eine von Feuer und eine von Eis ... Kurz, Madame de Mortsauf setzte ihren Geist und ihr ganzes Feingefühl daran, ihre Gedanken zu äußern, sie hatte ihren Kindern und mir gegenüber eine Art geistiger Koketterie. Arabellas Verstand dagegen machte das Leben nicht angenehmer, sie brauchte ihn nicht zu meinen Gunsten, er war nur in der Gesellschaft und für die Gesellschaft vorhanden; sie war weiter nichts als spöttisch. Es machte ihr Spaß, zu zerfleischen, zu beißen, nicht um sich zu belustigen, sie folgte einfach einem Bedürfnis ihrer Natur. Madame de Mortsauf hätte ihr Glück keusch vor aller Blicken versteckt; Lady Arabella wollte ihres vor ganz Paris zur Schau tragen, und – seltsame Ironie! – sie blieb in den Grenzen der guten Sitte, während sie mit mir im Bois de Boulogne paradierte. Diese Mischung von Prahlerei und Würde, von Liebe und Kälte verletzte bald meine Leidenschaftlichkeit, bald meine Keuschheit; und da ich solch rasche Temperaturwechsel nicht vertragen konnte, litt meine Laune erheblich. Ich bebte noch vor Leidenschaft, während sie schon wieder ihre gemachte Zurückhaltung anlegte. Wenn ich mich erkühnte, mich – oh, mit wieviel rücksichtsvoller Schonung! – zu beklagen, so wandte sie ihre dreifach gewetzte Zunge gegen mich und bot mir eine Blütenlese aus prahlerischer Leidenschaftlichkeit und dem englischen ›Scherz‹, von dem ich Ihnen eine Probe gegeben habe. Sobald wir in etwas nicht übereinstimmten, war es ihr ein Fest, mein Herz zu kränken und meinen Verstand zu demütigen; sie knetete mich wie Teig. Wenn ich ihr vorhielt, daß man in allen Dingen maßhalten solle, verzerrte sie meine Gedanken und führte sie ad absurdum. Wenn ich ihre kühle Haltung tadelte, fragte sie, ob sie mich etwa im Theater vor ›tout Paris‹ küssen solle. Sie verpflichtete sich so ernstlich dazu, daß ich bei ihrer Sucht, von sich reden zu machen, fürchten mußte, sie werde ihr Versprechen halten. So wahr ihre Liebe im Grunde war, hatte sie nie etwas Andächtiges, Heiliges, Tiefes wie bei Henriette: sie war unersättlich wie sandiger Boden. Madame de Mortsauf verstand mich in jedem, dem kleinsten; im Tonfall oder im Blick erriet sie die Regungen meiner Seele; die Marquise ließen ein Blick, ein Händedruck, ein sanftes Wort durchaus kalt. Mehr noch: das Glück des Vorabends galt ihr am Tage nichts mehr; keinerlei Beweis von Zärtlichkeit rührte sie; sie hatte ein solches Bedürfnis nach Unruhe, Lärm, nach heftigen Aufregungen, daß wahrscheinlich nichts in dieser Beziehung an ihr Ideal heranreichte; daher ihre rasenden Liebesversuche. Bei dieser ganzen überspannten Liebeslaune dachte sie an sich, nicht an mich. Der Brief der Madame de Mortsauf war das Licht, das noch in meine Tage hineinstrahlte; er zeigte, wie sehr die tugendhafteste Frau dem innersten Wesen der Französin treu sein kann; er verriet ihre stete Wachsamkeit, ihr tiefes Verständnis für alle meine Geschicke; dieser Brief muß Ihnen bewiesen haben, wie liebevoll sich Henriette meiner materiellen Interessen, meiner politischen Beziehungen, meiner geistigen Errungenschaften annahm; mit welcher Innigkeit sie mein Leben, soweit es ihr erlaubt war, in ihren Gedankenkreis hineinzog. In all diesen Angelegenheiten verhielt sich Lady Dudley so gleichgültig wie nur eine Bekannte. Sie erkundigte sich niemals nach meinen Geschäften, meinem Vermögen, meiner Arbeit, nach den
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