Die Lilie im Tal (German Edition)
verkehrten Arabella und ich intimer als vorher. Allmählich verzichteten wir beide auf die gesellschaftlichen Rücksichten, die ich früher beobachtet hatte und deren strenge Beobachtung die Gesellschaft oft veranlaßt, eine zweideutige Stellung wie die Arabellas zu entschuldigen, die Gesellschaft, die so gern über den bloßen Schein hinausdringen will, heißt ihn gut, sobald sie das Geheimnis kennt, das er verbirgt. Liebende, die gezwungen sind, in der großen Gesellschaft zu leben, werden immer unrecht daran tun, die Schranken umzustoßen, welche die Gesetzgebung des Salons aufrichtet; sie werden unrecht daran tun, nicht mit peinlichster Sorgfalt alle Äußerlichkeiten, die die Sitte verlangt, zu beachten, und zwar noch mehr ihretwegen als um der andern willen. Die zu überwindenden Schwierigkeiten, der äußerlich zu wahrende Respekt, das unerläßliche Komödienspielen und Verschleiern des Geheimnisses, diese ganze Kriegskunst einer glücklichen Liebe füllt das Leben aus, reizt die Begierde und schützt das Herz vor Abstumpfung durch die Gewohnheit. Aber jugendlich verschwenderisch, wie sie sind, holzen erste Leidenschaften ihre Wälder schonungslos ab, statt sie zu pflegen. Arabella ließ bürgerliche Vorurteile nicht gelten. Sie hatten sich ihnen nur mir zuliebe unterworfen. Dem Henker gleich, der im voraus seine Beute bezeichnet, um sie im geeigneten Augenblick an sich zu reißen, war sie bestrebt, mich vor ganz Paris bloßzustellen, damit ich ihr ganz überliefert werde. Auch wandte sie ihre ganze Koketterie auf, um mich in ihrem Hause festzuhalten; denn sie war mit ihrer eleganten Skandalgeschichte nicht zufrieden, die, da Beweise fehlten, nur zu leisem Flüstern hinter schützenden Fächern berechtigte. Als ich sie so glücklich sah, weil sie eine Unvorsichtigkeit begangen hatte, die über ihr Verhältnis zu mir keinen Zweifel bestehen ließ, wie hätte ich da nicht an ihre Liebe glauben sollen? Ich verzweifelte, weil ich in den Wonnen einer ungesetzmäßigen Ehe ertrunken war, weil ich mein Schicksal besiegelt sah, das den althergebrachten Anschauungen und den Lehren Henriettes ins Gesicht schlug. Von da an lebte ich in einer Art von Raserei, dem Schwindsüchtigen gleich, der, wenn er sein Ende nahen fühlt, nicht erlaubt, daß man auf sein Atmen horche. In meinem Herzen war ein geheimer Winkel, wo ich nicht ohne Schmerzgefühl Einkehr halten konnte; ein Rachegeist gab mir ohne Unterlaß Gedanken ein, die ich nicht auszudenken wagte. Meine Briefe an Henriette offenbarten ihr meine seelische Krankheit und schmerzten sie zutiefst. ›Mein Glück, das mit so vielen verlorenen Wonnen erkauft war, sollte wenigstens vollkommen sein‹, schrieb sie in der einzigen Antwort, die ich erhielt. Und ich war nicht glücklich! Liebe Natalie, Glück ist ein absoluter Wert, es kennt keine Vergleiche. Nachdem die erste Glut verraucht war, verglich ich die beiden Frauen miteinander; bis dahin hatte ich den Gegensatz noch nicht des nähern prüfen können. Jede große Leidenschaft übt einen so starken Druck auf unsere Natur aus, daß sie zunächst alle Unebenheiten unseres Wesens ausgleicht und die gewohnheitsmäßige Furche unserer guten und schlechten Eigenschaften ausfüllt. Aber später treten bei zwei Liebenden, die aufeinander eingelebt sind, die ursprünglichen Charakterzüge wieder hervor. Da fangen sie an, einander zu richten, und in dieser Gegenwirkung gegen die Leidenschaft entsteht oft ein entzweiendes Mißfallen: und das führen oberflächliche Leute ins Feld, wenn sie dem menschlichen Herzen Unbeständigkeit vorwerfen! Soweit waren wir nun. Arabellas verführerische Reize blendeten mich weniger, ich fing an, meine Genüsse gewissermaßen zu analysieren, und stellte, vielleicht ohne es zu wollen, Untersuchungen an, die zu Lady Dudleys Nachteil ausfielen. – Zunächst fand ich, daß ihr der Geist fehlte, der die Französin vor allen auszeichnet und sie zu der liebenswertesten Frau macht, nach Aussage aller, denen die Wechselfälle des Lebens es ermöglicht haben, die besondere Eigenart der Liebe in den verschiedenen Ländern zu erproben. Wenn die Französin liebt, ist sie wie umgewandelt; ihre vielberufene Gefallsucht stellt sie in den Dienst ihrer Liebe; ihre gefährliche Eitelkeit opfert sie und kennt keinen andern Ehrgeiz mehr als den, recht zu lieben. Die Interessen, Feindschaften und Freundschaften ihres Geliebten macht sie zu den ihren; im Handumdrehen erwirbt sie den erfahrenen Scharfblick des
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