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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und gingen in den Salon, damit die Kranke ihre letzte Beichte ablegen könne. Ich stellte mich neben Madeleine. In Gegenwart aller konnte sie mich nicht fliehen, ohne eine Unhöflichkeit zu begehen. Aber nach der Art ihrer Mutter sah sie niemanden an; sie verharrte in tiefem Schweigen, ohne nur ein einziges Mal den Blick auf mich zu richten.
    »Liebe Madeleine«, sagte ich leise »was haben Sie gegen mich? Weshalb diese Kälte ... angesichts des Todes? ...« »Ich glaube zu hören, was meine Mutter eben jetzt sagt«, antwortete sie. Ihre Kopfhaltung erinnerte an die Muttergottes von Sagres, diese schmerzahnende Jungfrau, die bereit ist, die Welt zu schützen, in der ihr Sohn sterben wird. »Und Sie verurteilen mich im selben Augenblick, wo Ihre Mutter mich freispricht ... Und bin ich denn schuldig?«
    »Sie, immer nur Sie!«
    Ihr Ton verriet einen bewußten Haß – den unerbittlichen Haß eines Korsen. So sind die Urteile derer, die aus Mangel an Menschenkenntnis keinerlei mildernde Umstände bei einem Verstoß gegen die Gesetze des Herzens gelten lassen. Eine Stunde verrann in tiefem Schweigen.
    Der Abbé Birotteau, der die Generalbeichte der Comtesse de Mortsauf entgegengenommen hatte, trat ein; wir gingen ins Krankenzimmer zurück. Henriette hatte sich, einer Eingebung folgend, wie sie edlen Seelen eigen, die ja untereinander alle sinnesverwandt sind, in ein langes Gewand hüllen lassen, das ihr als Leichentuch dienen sollte. Wir fanden sie aufrecht sitzend, schön im doppelten Glanz ihrer Sühne und ihrer Hoffnung. Ich sah im Kamin die schwere Asche meiner Briefe, die soeben verbrannt worden waren; dies Opfer, so sagte mir ihr Beichtvater, hatte sie erst in der Stunde des Todes bringen wollen. Sie strahlte uns alle mit ihrem alten Lächeln an. Ihre tränenfeuchten Augen sprachen von einer höchsten Offenbarung, sie sah schon die himmlischen Freuden des Gelobten Landes.
    »Lieber Felix«, sagte sie, reichte mir ihre Hand und drückte die meine, »bleiben Sie! Sie sollen einer der letzten Szenen meines Lebens beiwohnen, die nicht die wenigst peinliche sein wird, in der Sie aber eine große Rolle spielen.«
    Sie winkte, die Tür wurde geschlossen. Auf ihre Aufforderung setzte sich der Comte; der Abbe Birotteau und ich blieben stehen. Ai;f Manette gestützt, stand die Comtesse auf, kniete vor dem Comte nieder und bestand darauf, in dieser Stellung zu verharren. Dann, als Manette hinausgegangen war, erhob sie das Haupt, das sie auf die Knie des erstaunten Comte gelegt hatte.
    »Obwohl ich mich Ihnen stets als treue Gattin erwiesen habe«, sagte sie mit erstickter Stimme, »ist es möglich, daß ich meinen Pflichten nicht immer genügt habe. Ich habe eben zu Gott gefleht, mir die Kraft Zu geben, Sie um Verzeihung zu bitten. Ich habe vielleicht in eine Freundschaft, die außerhalb der Familie lag, noch liebevollere Zärtlichkeit hineingetragen, als die war, die ich Ihnen schuldete. Vielleicht habe ich Sie gereizt, indem ich Ihnen den Vergleich nahelegte zwischen dieser Zärtlichkeit und diesen Gedanken und denen, die ich Ihnen widmete. Ich habe«, flüsterte sie, »eine tiefe Freundschaft empfunden, deren ganze Größe niemand, selbst der nicht, dem sie galt, ermessen hat. Obwohl ich nach menschlichem Gesetz tugendhaft geblieben und Ihnen stets eine untadelige Gattin gewesen bin, haben oft, unwillkürlich oder mir unbewußt, schlimme Gedanken mein Herz durchflogen, und ich fürchte jetzt, daß ich sie zu bereitwillig aufnahm. Aber da ich Sie zärtlich geliebt habe und Ihre ergebene Gattin geblieben bin, da die Wolken, die meinen Himmel durchzogen; ihn nicht getrübt haben, sehen Sie mich hier mit reiner Stirn Ihren Segen erflehen. Ich werde ohne jedes Gefühl der Bitterkeit sterben, wenn ich aus Ihrem Mund ein sanftes Wort für Ihre Blanche, für die Mutter Ihrer Kinder vernehme, wenn Sie ihr all das verzeihen, was sie sich selbst erst dann verzieh, als der höchste Richter, vor dem wir alle stehen, sie freigesprochen hatte.« – »Blanche, Blanche!« rief der Greis und vergoß plötzlich Tränen über das Haupt seiner Frau, »willst du mich töten?« Er hob sie mit ungewohnter Kraft,zu sich empor, küßte sie andächtig auf die Stirn, und sie so haltend, sagte er: »Habe nicht ich dich um Verzeihung zu bitten? Bin nicht ich oft hart gewesen? Übertreibst du nicht deine kindlichen Gewissensbisse?« – »Mag sein«, antwortete sie, »aber, mein Freund, seien Sie nachsichtig gegen die Schwächen der Sterbenden!

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