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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht mehr; ich betrachtete die Fenster des Zimmers, wo Henriette litt, und glaubte das Licht zu sehen, das in der Nacht leuchtete, wo ich mich ihr verlobte. Hätte ich nicht das einfache Leben führen sollen, das sie mir geraten hatte, mich in meiner politischen Arbeit ihr bewahren sollen? Hatte sie mir nicht befohlen, ein großer Mann zu werden, um mich vor niedern und schmählichen Leidenschaften zu schützen, die ich nun, wie alle Männer, kosten mußte? War Keuschheit nicht eine vornehme Auszeichnung, die ich mir nicht zu bewahren gewußt hatte? Die Liebe, wie sie Arabella verstand, widerte mich an. Als ich gerade mein gebeugtes Haupt erhob und mich fragte, woher mir in Zukunft Licht und Hoffnung kommen sollten, welches Interesse ich noch am Leben hätte, zitterte plötzlich ein leises Geräusch durch die Luft; ich wandte mich zur Terrasse und sah dort Madeleine allein langsamen Schrittes auf und ab gehen. Ich ging hinauf, um das liebe Kind zu fragen, weshalb sie mich am Fuß des Kreuzes so kalt angeblickt hätte. Sie hatte sich auf eine Bank gesetzt. Als sie mich auf sich zukommen sah, stand sie auf und tat, als ob sie mich nicht bemerkt hätte; sie wollte nicht mit mir allein sein. Ihr Gang. war eilig, er sagte genug.
    Sie haßte mich. Sie floh den Mörder ihrer Mutter. Als ich über die Terrassen nach Clochegourde zurückkam, sah ich Madeleine wie eine Statue unbeweglich stehen und auf den Hall meiner Schritte lauschen. Jacques saß auf einer Stufe, und seine Haltung bekundete dieselbe Gleichgültigkeit, die mir schon bei unsern gemeinsamen Spaziergängen aufgefallen war und mir Gedanken nahegelegt hatte, wie man sie zunächst in einen Winkel der Seele zurückdrängt, um sie dann später hervorzuholen und in aller Ruhe zu erforschen. Ich habe bemerkt, daß junge Leute, die den Keim des Todes in sich tragen, gegen Sterbeszenen unempfindlich sind. Ich wollte diese verschlossene Seele befragen. Hatte Madeleine ihre Gedanken für sich behalten, hatte sie ihren Haß auf Jacques übertragen?
    »Du weißt«, sagte ich, um eine Unterhaltung einzuleiten, »daß du an mir den treuesten aller Brüder hast.« – »Ihre Freundschaft ist mir nutzlos, ich werde meiner Mutter folgen«, sagte er und warf mir einen schmerzscheuen Blick zu. »Jacques!« rief ich, »auch du?« Er hustete, entfernte sich von mir, und als er wiederkam, zeigte er mir sein blutiges Taschentuch. »Verstehen Sie das?« sagte er.
    So hatte jeder von ihnen sein tragisches Geheimnis. Später bemerkte ich, daß Bruder und Schwester einander auswichen, Kaum war Henriette tot, so fiel in Clochegourde alles in sich zusammen.
    »Madame schläft!« verkündete Manette, beglückt, daß die Comtesse nicht mehr litt.
    In solch schrecklichen Augenblicken, deren unvermeidliches Ende jedermann absehen kann, wird man unzurechnungsfähig. Man glaubt an jeden Schimmer, der Hoffnung verspricht. Minuten sind Jahrhunderte, die man möglichst angenehm ausfüllen möchte. Man wünscht, die Kranken könnten auf Rosen ruhen, man möchte ihre Leiden auf sich nehmen und fleht, daß sie von ihrem letzten Seufzer nichts wissen.
    »Monsieur Deslandes hat die Blumen entfernen lassen, weil sie zu stark auf Madames Nerven wirkten«, sagte Manette.
    So hatten denn die Blumen ihr Delirium verschuldet, sie war nicht verantwortlich dafür. Das Liebesleben der Natur; die Feier der Befruchtung, die Liebkosungen der Pflanzen hatten sie mit ihren Düften berauscht und hatten wahrscheinlich in ihr die Tränen glücklicher Liebe geweckt, die seit Henriettes Jugend warteten, daß sie vergossen würden.
    »Kommen Sie doch, Monsieur Felix«, sagte Manette, »sehen Sie Madame an, sie ist engelschön!«
    Ich trat ins Zimmer der Sterbenden, als eben die Sonne unterging und die Dachfirste des Schlosses von Azay vergoldete. Alles war still und rein. Ein sanftes Licht erleuchtete das Lager, auf dem Henriette im Opiumschlaf ruhte. Ihr körperliches Leben war gewissermaßen aufgehoben; die Seele allein herrschte auf diesem Antlitz, die klar war wie ein schöner Himmel nach dem Sturm. Blanche und Henriette, diese beiden göttlichen Erscheinungen derselben Frau, erglänzten um so schöner, als meine Erinnerung, meine Gedanken, meine Phantasien, der Wirklichkeit nachhelfend, den Verfall der Züge wieder gutmachten; und auf ihre Züge warf die siegreiche Seele Licht-wellen, die mit der stillen Flut des Atmens zusammenflossen. Die beiden Abbés saßem am Rande des Bettes. Der Comte stand da wie vom Blitz

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