Die Lilie im Tal (German Edition)
erzählte sie mir damals in ihrer düsteren Breite. Sie sprach von der langen Reihe trostloser Ereignisse, von den vergeblichen Anstrengungen in ihrer Ehe, von fruchtlosen Bemühungen.
»Kurz«, sagte sie zum Schluß, »man müßte viele Monate in Clochegourde wohnen, um zu wissen, wieviel Mühe mich jede Verbesserung hier gekostet hat, wieviel ermüdender, schmeichlerischer Überlistung es bedurfte, bis er das Allernötigste tat! Welch kindliche Schadenfreude ergreift ihn, wenn etwas, wozu ich geraten, nicht gleich glücklich ausfällt! Mit welcher Freude schreibt er sich alles Gute zu. Wieviel Geduld gehört dazu, immer seine Klagen zu hören, während ich mich umbringe, um das Unkraut aus seinen Tagen zu jäten, um die Luft, die er atmet, mit Balsam zu füllen, um die Wege, die er mit Steinen besät, mit Sand zu decken und mit Blumen zu schmücken! Mein Lohn ist der schreckliche Kehrreim: ›Ich werde sterben, das Leben lastet auf mir!‹ Wenn er das Glück hat, Menschen um sich zu sehen, so gleicht sich alles aus. Er ist liebenswürdig und höflich; aber warum ist er's nicht zu seiner Familie? Ich weiß nicht, wie ich mir diesen Mangel an Anstand bei einem Mann erklären soll, der oft tatsächlich ritterlich ist. Er ist imstande, heimlich nach Paris zu galoppieren, um mir ein Geschmeide zu holen, wie er es neulich zum Ball in der Stadt getan hat. So geizig er für das Haus ist, so verschwenderisch wäre er für mich, ich brauchte nur zu wollen. Es sollte umgekehrt sein. Ich brauche nichts, aber der Haushalt ist teuer. In dem Wunsche, sein Leben glücklich zu gestalten, und ohne zu bedenken, daß ich einmal Mutter würde, habe ich ihn vielleicht daran gewöhnt, mich als sein Opfer zu behandeln; mich, die ihn mit einiger List führen würde wie ein Kind, wenn ich mich so weit erniedrigen könnte, eine Rolle zu spielen, die mir unwürdig scheint. Aber im Interesse des Hauses muß ich mich zwingen, ruhig und streng wie eine Statue der Gerechtigkeit zu sein, und doch habe auch ich eine liebebedürftige und zärtliche Seele.« – »Und warum«, sagte ich, »machen Sie nicht Ihren Einfluß geltend, um seine Herrin zu sein und ihn zu leiten?« – »Wenn es sich nur um mich handelte, so könnte ich weder sein hartnäckiges Schweigen bezwingen, das er stundenlang triftigen Gründen entgegensetzt, noch auf seine unlogischen, oft geradezu kindischen Ausführungen antworten. Ich habe Schwachen und Kindern gegenüber keinerlei Mut. Sie können mir weh tun, ohne daß ich ihnen Widerstand leiste. Vielleicht würde ich Kraft gegen Kraft ausspielen; aber denen gegenüber, die ich beklage, bin ich kraftlos. Wenn ich Madeleine zu etwas zwingen müßte, um sie zu retten, würde ich mit ihr sterben. Das Mitleid macht meine Muskeln schlaff und spannt meine Nerven ab. Auch haben mich die heftigen Erschütterungen der letzten zehn Jahre gebeugt. Mein Gefühlsleben, das so viele harte Stöße erfahren hat, ist jetzt oft kraftlos, feige, und nichts hilft ihm auf. Die Energie, mit der ich Stürmen trotzte, fehlt mir jetzt manchmal, ja bisweilen unterliege ich sogar. Aus Mangel an Ruhe und Seebädern, wo ich meine Kraft stählen könnte, werde ich umkommen. Monsieur de Mortsauf wird mich töten und an meinem Tode selbst zugrunde gehen.« – »Warum gehen Sie nicht auf einige Monate aus Clochegourde? Könnten Sie nicht mit Ihren Kindern ans Meer gehen?« – »Zunächst hielte sich Monsieur de Mortsauf für verraten und verkauft, sobald ich wegginge. Obwohl er an seine traurige Lage nicht glauben will, ist er sich ihrer sehr bewußt. In ihm streiten der Mensch und der Kranke miteinander, zwei verschiedene Naturen, deren Widersprüche manche Wunderlichkeiten erklären. Zudem hätte er recht, zu zittern. Alles würde hier schiefgehen. Sie sehen vielleicht in mir die Mütter, die ihre Kinder vor dem Habicht schützt, der über ihnen kreist. Es ist eine drückende Pflicht, die noch schwerer gemacht wird durch die Pflege, die Monsieur de Mortsauf erfordert. Immer läuft er durchs Haus und fragt: ›Wo ist Madame?‹ Das wäre noch nichts. Aber ich bin auch der Hauslehrer Jacques' und die Erzieherin Madeleines. Auch das wäre noch nicht viel. Aber ich bin Verwalter und Aufseher. Sie werden einmal einsehen, was das bedeuten will, wenn Sie erst wissen, wie ungemein schwierig die Bewirtschaftung eines Gutes ist. Wir haben wenig Bareinkünfte, unsere Felder sind nur zur Hälfte bebaut, eine Wirtschaftsform, die einen immer in Atem hält. Man muß
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