Die Lilie im Tal (German Edition)
sein Getreide, sein Vieh und alle seine andern Erträge selbst verkaufen. Unsere eigenen Pächter sind unsere Konkurrenten; sie verständigen sich im Wirtshaus mit den Käufern, bestimmen die Preise, je nachdem sie selbst verkauft haben. Ich würde Sie langweilen, wollte ich Ihnen die tausend Schwierigkeiten unseres Betriebes auseinandersetzen. Wie sehr ich mich auch opfern mag, ich kann nicht hindern, daß unsere Bauern ihr eigenes Land mit unserm Dünger düngen. Ich kann nicht nachsehen, ob unsere Pächter bei der Teilung der Ernte nicht gemeinsame Sache mit ihnen machen; auch kann ich nicht wissen, wann der geeignete Augenblick zum Verkauf gekommen ist. Wenn Sie nun an die Gedächtnisschwäche Monsieur de Mortsaufs denken, an die Mühe, die es mich kostet, ihn bei seinen Geschäften festzuhalten, dann werden Sie verstehen, wie schwer mein Joch ist, wie unmöglich es mir ist, es auch nur für einen Monat abzuschütteln. Meine Abwesenheit müßte uns ins Verderben stürzen. Niemand würde auf ihn hören; meist widersprechen sich seine Befehle. Übrigens liebt ihn niemand, er schilt zuviel und kehrt den unumschränkten Herrn heraus. Und außerdem hört er zu leicht auf seine Untergebenen, wie alle schweren Naturen, so daß er unter seinesgleichen kaum Freundschaft erwirbt, wie sie sonst Familien zusammenschließt. Wenn ich wegginge, würde kein Dienstbote auch nur acht Tage hierbleiben. Sie sehen also, daß ich so fest mit Clochegourde verwachsen bin wie die Bleiakroterien mit unsern Dächern ... Ich habe jetzt rückhaltlos zu Ihnen gesprochen, Monsieur de Vandenesse. Niemand in der Umgebung weiß etwas von den Geheimnissen Clochegourdes, Ihnen sind sie bekannt. Sagen Sie nur Gutes und Vorteilhaftes von uns, so können Sie meiner Achtung und meiner Dankbarkeit versichert sein!« fügte sie mit sanfterer Stimme hinzu. »Und Sie können immer wieder nach Clochegourde kommen, Sie werden da Freunde finden.« – »Aber«, sagte ich – »ich habe nie gelitten, Sie allein ...« – »Nein?« erwiderte sie, und das Lächeln einer in Trauer ergebenen Frau huschte über ihre Züge, jenes Lächeln, das Steine erweichen könnte. »Wundern Sie sich nicht über meine Rede, sie zeigt Ihnen das Leben, wie es ist, und nicht, wie es Ihre Phantasie erhofft hatte. Wir haben alle unsere Fehler und unsere Tugenden. Hätte ich einen Verschwender geheiratet, so hätte er mein Vermögen durchgebracht. Hätte man mich einem jungen, leidenschaftlichen Lebemann gegeben, so hätte er nach mir andere Eroberungen gemacht; vielleicht hätte ich ihn nicht dauernd fesseln können, er wäre mir untreu geworden, und ich wäre vor Eifersucht gestorben. Denn ich bin eifersüchtig«, sagte sie mit erregt eindringlicher Stimme, die dem Donnerrollen eines vorüberziehenden Gewitters glich. »Monsieur de Mortsauf liebt mich, sosehr er nur lieben kann. Alles, was sein Herz an Zärtlichkeiten faßt, das gießt er zu meinen Füßen aus, wie Magdalena ihre Narden zu Füßen des Heilands. Glauben Sie mir, ein Leben in Liebe ist eine seltene Ausnahme. Jede Blume verblüht. Die großen Freuden haben ein graues Morgen, wenn sie überhaupt ein Morgen haben. Das wirkliche Leben ist voller Qualen; sein Bild ist diese Nessel unten an der Terrasse, die auch ohne Sonne grün bleibt. Hier wie in den nördlichen Gegenden gibt es einen lächelnden Himmel, selten zwar, aber er wiegt viel Trübes auf. Sind nicht die Frauen, die ausschließlich Mütter sind, mehr durch Opfer als durch Freuden gebunden? Hier ziehe ich alle Blitze an, die auf mein Gesinde oder meine Kinder zu fallen drohen, und während ich sie von ihnen abwende, habe ich ein unbeschreibliches Gefühl, das mir geheime Kraft verleiht. Die Ergebung von gestern hat immer der von morgen vorgearbeitet. Gott läßt mich auch nicht ganz hoffnungslos. Zuerst war der Gesundheitszustand meiner Kinder zum Verzweifeln, jetzt werden sie mit jedem Tag kräftiger. Schließlich hat sich auch unsere Wohnung verschönert, unsere Vermögensverhältnisse bessern sich. Wer weiß, ob ich nicht Monsieur de Mortsauf ein glückliches Alter bereiten werde. Glauben Sie mir, der Mensch, der mit einer grünen Palme in der Hand vor den großen Richter hintritt und ihm die getröstet zuführt, die das Leben verfluchen, dieser Mensch hat seine Leiden in Wonnen verwandelt. Wenn meine Schmerzen dem Glück meiner Familie dienen, sind es dann überhaupt noch Schmerzen?« – »Ja«, sagte ich, »aber sie waren notwendig, wie die meinen nötig
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