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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Sie wüßten ...« Sie ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken. Die Erinnerung an ihre verflossenen Leiden und ihre gegenwärtigen Schmerzen verursachte ihr wieder nervöse Krämpfe, die ich nur durch den Magnetismus der Liebe beschwichtigen konnte. Diese Wirkung war mir bis dahin unbekannt, aber ich machte instinktiv Gebrauch davon. Ich stützte sie mit milder Kraft, und während dieser letzten Krise warf sie mir Blicke zu, die mir Tränen entlockten. Als diese nervösen Zuckungen aufhörten, ordnete ich ihr wirres Haar, das ich zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben mit den Händen berührte. Dann ergriff ich abermals ihre Hand, ließ meine Blicke lange durch das in Grau und Braun gehaltene Zimmer schweifen, über das schlichte Bett mit den Leinenvorhängen, den altmodischen Toilettentisch, das ärmliche Sofa mit dem gesteppten Überzug ... Wieviel Poesie war darüber gebreitet! Sie hatte für sich auf jeden Luxus verzichtet. Der einzige Aufwand war ihre peinliche Sauberkeit. O edle Zelle einer verheirateten Nonne, voll heiliger Entsagung, die keinen andern Schmuck hatte als das Kruzifix über dem Bett und darüber das Bild ihrer Tante, zu beiden Seiten des kleinen Kessels mit Weihwasser zwei selbstgefertigte Bleistiftzeichnungen von ihren Kindern und ein Haarbüschelchen aus ihrer frühesten Kindheit! Welche Klause für eine Frau, deren Erscheinen in der großen Welt die Schönsten mit Neid erfüllt hätte! Dies war das Boudoir, wo die Tochter aus vornehmer Familie immer weinen durfte, sie, die jetzt vor Bitterkeit verging und sich der Liebe entzog, die sie hätte trösten können! Es war ein heimliches, unheilbares Elend. Und das Opfer hatte Tränen für den Henker, und der Henker weinte über das Opfer. Als die Kinder und die Kammerzofe eintraten, ging ich hinaus. Der Comte erwartete mich, er sah in mir schon einen Vermittler zwischen seiner Frau und ihm, und meine beiden Hände ergreifend, rief er mir zu: »Bleiben Sie, bleiben Sie, Felix!« – »Leider hat Monsieur de Chessel Gäste zu Tisch«, sagte ich; »es geht doch nicht, daß man nach den Gründen meines Ausbleibens fragt; aber nach Tisch komme ich wieder.« Er ging mit mir hinaus und begleitete mich bis an das untere Tor, ohne ein Wort zu sagen. Dann ging er mit mir bis nach Frapesle, ohne zu wissen, was er tat. Dort angekommen, sagte ich ihm endlich: »Um des Himmels willen, Monsieur le Comte, lassen Sie sie doch Ihr Haus leiten, wenn es ihr Freude macht, und quälen Sie sie nicht!« – »Ich habe nicht mehr lange zu leben«, sagte er ernst; »sie wird nicht mehr lange durch mich leiden. Ich fühle, wie mein Kopf in Stücke geht.«
    Er verließ mich in einer Anwandlung von unwillkürlichem Egoismus. Nach Tisch kam ich wieder, um mich nach dem Befinden der Comtesse zu erkundigen; es ging ihr schon besser. Wenn das für sie die Freuden der Ehe waren, wenn derartige Auftritte sich oft wiederholten, wie konnte sie da überhaupt leben? O dieser langsame, unbestrafte Mord! An jenem Abend verstand ich, mit welch unerhörten Qualen der Comte seine Frau marterte. Vor welchen Richter konnte man solche Streitfälle bringen? Solche Betrachtungen machten mich ganz wirr, ich konnte Henriette nichts sagen, aber die ganze Nacht schrieb ich ihr. Von drei oder vier Briefen, die ich verfaßte, habe ich nur diesen Anfang behalten, der mir gar nicht gefiel. Es schien mir, als wäre er nichtssagend oder redete zuviel von mir, wo ich mich doch nur mit ihr beschäftigen sollte. Immerhin wird er Ihnen zeigen, in welchem Zustand ich mich befand.
    ›An Madame de Mortsauf. Wie vieles wollte ich Ihnen bei meiner Ankunft sagen, woran ich unterwegs dachte, was ich aber bei Ihrem Anblick vergaß! Ja, sobald ich Sie sehe, liebe Henriette, finde ich, sind meine Worte nicht mehr im Einklang mit dem Glanz Ihrer Seele, die Ihre Schönheit erhöht. Zudem empfinde ich in Ihrer Nähe eine so unendliche Beseligung, daß das gegenwärtige Gefühl alle frühern verwischt. Jedesmal werde ich einem reichern Leben geboren und gleiche dem Reisenden, der einen hohen Felsen erklimmt und bei jedem Schritt neue Fernen entdeckt. Vermehren sich durch jede Unterhaltung meine gewaltigen Reichtümer um einen neuen Schatz? Hierin liegt, glaube ich, das Geheimnis langer, unauflöslicher Neigungen. Darum kann ich mit Ihnen über Sie nur sprechen, wenn ich fern von Ihnen bin. In Ihrer Gegenwart bin ich von Ihrem Anblick zu sehr geblendet, zu glücklich, um mein Glück zu untersuchen, zu voll von Ihnen,

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