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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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enthalten, das so reich an fatalen Erinnerungen, so bitter und grausam für ihn sein mußte. Aber er bewies, wie dringend nötig es sei, den Ackerbau im Bezirk zu heben, schöne Wirtschaftsgebäude zu errichten mit großen, gesunden Räumen, kurz, er schrieb sich ruhmredig die Ideen seiner Frau zu. Ich errötete und beobachtete die Comtesse: solch ein Mangel an Feingefühl bei einem Mann, der dessen manchmal soviel hatte, dies Vergessen eines herzbrechenden Auftritts, dies Aufgreifen von Ideen, gegen die er sich so heftig gesträubt hatte, dieses Selbstbewußtsein machten mich starr.
    Als Monsieur de Chessel ihn fragte: »Hoffen Sie auf Ihre Kosten zu kommen?« sagte er mit einer bejahenden Gebärde: »Reichlich!«
    Ein derartiges Benehmen läßt sich nur als Wahnsinn bezeichnen. Henriette, das göttliche Wesen, strahlte. Erschien der Comte nicht als ein Mann von praktischem Verstand, ein guter Verwalter und ausgezeichneter Landwirt? Sie streichelte entzückt das Haar Jacques', sie war glücklich für ihren Sohn. Welch ergreifende Komik! Welch tragische Ironie! Ich war entsetzt davon.
    Später freilich, als der Vorhang der gesellschaftlichen Bühne vor mir emporging, da sah ich viele Mortsaufs, und sie hatten nicht einmal zeitweise die Ritterlichkeit und die Frömmigkeit des Comte. Welch seltsame, hämische Macht ist es, die stets dem Narren einen Engel hinwirft, dem Mann von aufrichtiger, seelenvoller Liebe eine schlechte Frau, dem Kleinen die Große, und diesem Scheusal ein schönes, überirdisches Wesen, der edlen Juana den Kapitän Diar, von dem Sie in Bordeaux gehört haben werden, Madame de Beauséant einen d'Ajuda, Madame d'Aiglemont ihren Mann und dem Marquis d'Espard seine Frau? Ich habe lange nach der Lösung dieses Rätsels gesucht. Ich habe viele Geheimnisse durchforscht, habe den Grund vieler Naturgesetze erkannt, den Sinn mancher göttlichen Hieroglyphen. Aber an diesem Rätsel studiere ich noch immer wie an einem indischen Kopfzerbrecher, dessen Symbolik nur Brahmanen kennen. Hier ist das Prinzip des Bösen zu augenfällig, und ich wage nicht, Gott anzuklagen. Wer vergnügt sich denn damit, sich in Mißgeschicke zu stürzen, gegen die es kein Mittel gibt? Sollten etwa Henriette und ihr ›unbekannter Philosoph‹ recht haben? Sollte ihre Mystik die Lösung des Menschenrätsels in sich schließen?
    Die letzten Tage, die ich in der Gegend verbrachte, waren die Tage herbstlichen Blätterfalls, von Wolken überdüstert, die bisweilen den in der schönen Jahreszeit so freundlichen Himmel der Touraine verhüllten. Am Vorabend meiner Abreise führte mich Madame de Mortsauf vor Tisch auf die Terrasse.
    »Mein lieber Felix«, sagte sie, nachdem wir eine Weile schweigend unter kahlen Bäumen gegangen waren, »Sie werden jetzt in die Welt eintreten, und meine Gedanken sollen Sie dahin begleiten. Wer viel gelitten hat, hat viel gelebt, und glauben Sie nicht, daß einsame Seelen nichts von der Welt wissen: sie richten sie. Wenn ich in meinem Freunde leben soll, will ich mich in seinem Herzen und Gewissen nicht unbehaglich fühlen. Mitten im Kampfgedränge ist es recht schwierig, sich aller Vorschriften zu erinnern; lassen Sie mich Ihnen einige gute mütterliche Ratschläge geben! Am Tage Ihrer Abreise, liebes Kind, werde ich Ihnen einen langen Brief einhändigen, worin Sie meine weibliche Auffassung niedergelegt finden werden von der Welt, den Menschen und von der Art, wie man in dem großen Interessengewirr Schwierigkeiten begegnen soll. Versprechen Sie mir, ihn erst in Paris zu lesen! Meine Bitte ist eine gefühlsmäßige Laune, wie sie nur uns Frauen verständlich ist. Ich halte es nicht für unmöglich, daß man sie verstehe, aber vielleicht verdrösse es uns, sie verstanden zu wissen. Lassen Sie mir die kleinen Pfade, wo Frauen gern allein wandeln!« – »Ich verspreche es Ihnen«, sagte ich und küßte ihre Hand. »Ach!« rief sie aus, »ich muß Ihnen noch ein anderes Gelübde abnehmen; aber versprechen Sie mir im voraus, daß Sie ja sagen wollen.« »Ja, ja!« antwortete ich, da ich glaubte, es handle sich um Treue. »Es geht nicht um mich«, erwiderte sie schmerzlich lächelnd. »Felix, spielen Sie nie in irgendeinem Salon; ich nehme keinen aus!« – »Ich werde mich immer vom Glücksspiel fernhalten«, antwortete ich. »Gut«, sagte sie, »ich habe für Sie eine bessere Anwendung der Zeit gefunden, die Sie beim Spiel vergeuden würden. Sie werden sehen, daß, wo andere früh oder spät verlieren

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