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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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soviel wie mir Ihr Leben geben? Und wenn ich es so hinnehme, stehe ich dann nicht jede Stunde in Ihrer Schuld? – Es war Zeit, meine Stickerei zu beenden«, fuhr sie fort, als wir wieder in den Salon traten, wo ich ihr die Hand küßte, als erneuerte ich so mein Gelübde. »Vielleicht wissen Sie nicht, Felix, weshalb ich mir diese lange Arbeit auferlegt habe? Männer finden in ihren Beschäftigungen ein Heilmittel gegen jeden Kummer, der Gang der Geschäfte zerstreut sie; aber wir Frauen, wir haben keine Stütze in uns selbst. Um meinen Kindern und meinem Mann zulächeln zu können, wenn ich von traurigen Gedanken erfüllt war, habe ich mir in einer regelmäßigen Tätigkeit ein Gegengewicht für meine Schmerzen geschaffen. So ging ich Erschlaffungen aus dem Wege, die jedem großen Kraftaufwand oder Ausbrüchen übermäßiger Erregung folgen. Das immer gleiche Heben der Hand wiegte meine Gedanken, teilte meiner Seele, worin der Sturm grollte, den Gleichtakt von Flut und Ebbe mit und besänftigte so meine Wallungen. Jedem Stich vertraute ich meine Geheimnisse an, verstehen Sie wohl! Und während ich meinen letzten Sesselbezug stickte, habe ich zu oft an Sie gedacht! Ja, viel zu oft, lieber Freund; was Sie in Ihre Sträuße hineinlegten, das sagte ich meinem Stickmuster!«
    Das Abendbrot verlief recht heiter. Alle Kinder sind dankbar, wenn man sich mit ihnen beschäftigt; Jacques sprang mir an den Hals, als er die Blumen sah, die ich ihm in Ermangelung eines Ehrenkranzes gepflückt hatte. Die Mutter stellte sich, als zürnte sie mir ob dieses Treubruchs, und den, wie Sie sich denken können, im Scherz beneideten Strauß bot das liebe Kind ihr an. Am Abend spielten wir zu dritt eine Tricktrackpartie, ich allein gegen Monsieur und Madame de Mortsauf. Der Comte war ganz reizend. Endlich bei hereinbrechender Dunkelheit begleiteten sie mich bis an den Weg nach Frapesle. Es war einer jener friedlichen Abende, in deren Harmonie die Gefühle an Tiefe gewinnen, was sie an Lebendigkeit einbüßen. Es war ein Tag ohnegleichen im Leben dieser armen Frau, ein Lichtpunkt, den ihre Erinnerung in schweren Stunden umkoste ... Bald wurden die Reitstunden ein Gegenstand des Zwistes. Die Comtesse fürchtete mit Recht die aufgeregte Strenge ihres Gatten. Schon magerte Jacques ab, er hatte dunkle Ringe um die schönen blauen Augen. Er wollte seine Mutter nicht betrüben und litt lieber im stillen. Ich ersann ein Mittel gegen seine Leiden: ich riet ihm, seinem Vater zu sagen, er sei müde, sobald der Comte in Zorn geriete; aber diese Linderungsmittel erwiesen sich als unzulänglich. Der alte Vorreiter mußte den Vater ersetzen, der seinen Schüler nicht gutwillig fahrenließ. Die Schreiereien und Diskussionen begannen wieder von vorn. Der Comte wählte als Thema für seine ewigen Klagen die Undankbarkeit der Frauen. Zwanzigmal am Tag warf er seiner Frau den Wagen, die Pferde und die Livreen vor. Endlich trat ein Ereignis ein, woran Leute von seinem Charakter und Gesundheitszustand ihre schlechte Laune auszulassen pflegen: die Ausgaben in La Cassine und La Rhétorière überschritten um das Doppelte den Voranschlag, da Mauern und morsche Dielen einstürzten. Ein Arbeiter beging die Ungeschicklichkeit, diese Nachricht Monsieur de Mortsauf mitzuteilen, statt sich an die Comtesse zu wenden. Das gab den Anlaß zu einem Streit, der ganz sanft begann, sich aber mehr und mehr verschärfte. Die seit einigen Tagen niedergehaltene Übellaunigkeit des Comte forderte von der armen Henriette den rückständigen Tribut.
    An diesem Tage hatte ich Frapesle um halb elf, nach dem Frühstück, verlassen, um in Clochegourde mit Madeleine einen Strauß zu winden. Das Kind hatte mir die zwei Vasen auf das Geländer der Terrasse gebracht, und ich ging von den Gärten ins Gelände, um die schönen, aber so seltenen Blumen des Herbstes zu suchen. Als ich zurückkam, fand ich meinen kleinen Leutnant mit dem rosa Gürtel und dem Spitzenkragen nicht mehr vor und hörte Schreie in Clochegourde.
    »Der General«, sagte Madeleine weinend, und bei ihr war das Wort ein Ausdruck des Hasses gegen den Vater, – »der General schilt unsere Mutter; verteidigen Sie sie doch!«
    Ich stürzte die Treppen hinauf und trat in den Salon, ohne daß mich der Comte und seine Frau bemerkt oder gegrüßt hätten. Als ich das gellende Geschrei des Wahnsinnigen hörte, schloß ich alle Türen und kam zurück; ich hatte gesehen, daß Henriette so weiß wie ihr Kleid war.
    »Heiraten Sie nie,

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