Die Lilie im Tal (German Edition)
Sie verwerten kann?« Sie fiel in Träumerei. »Will Ihnen Gott ein Vater sein?« fragte sie nach einer Pause. »Lassen Sie mich glauben, daß ich nur Ihnen gehorche!« rief ich aus.
Sie schenkte mir ihr so tief herzliches Lächeln, das mich stets so trunken machte, daß ich einen tödlichen Stoß nicht gefühlt hätte.
»Sobald der König wieder in Paris sein wird, gehen Sie hin, verlassen Sie Clochegourde! So entwürdigend es ist, um Ämter und Gnaden zu betteln, so lächerlich ist es auch, nicht bei der Hand zu sein, um sie entgegenzunehmen. Es werden große Veränderungen eintreten. Der König wird tüchtige und zuverlässige Männer brauchen; seien Sie da! Sie werden jung in den Staatsdienst eintreten und Vorteil davon haben, denn für Staatsmänner wie für Schauspieler gibt es Kunstgriffe, die kein Genie eingibt, die man erlernen muß. Dies Wort hat mein Vater vom Duc de Choiseul . . . Denken Sie an mich«, sagte sie nach einer Pause, »lassen Sie mich alle Freuden der Größe kosten, in einer Seele, die mir ganz zugetan ist! Sind Sie nicht mein Sohn?« – »Ihr Sohn?« entgegnete ich zögernd. »Nichts als mein Sohn!« sagte sie, und sie tat, als scherzte sie. »Ist dieser Platz in meinem Herzen Ihnen nicht gut genug?«
Die Glocke rief zu Tisch. Sie nahm meinen Arm und stützte sich darauf.
»Sie sind gewachsen«, sagte sie, als wir die Treppe hinaufstiegen. Aber oben auf der Terrasse faßte sie plötzlich meinen Arm, wie abwehrend, als ob meine heißen Blicke sie versengten. Obwohl sie die Augen gesenkt hielt, fühlte sie, daß ich nur sie ansah, und sagte in einem absichtlich ungeduldigen, so reizvollen, so neckenden Ton: »Aber nun sehen Sie sich doch auch unser liebes Tal an!« '
Sie wandte sich um, hielt ihren weißseidenen Sonnenschirm über uns und preßte Jacques an sich. Die Kopfbewegung, mit der sie auf die Indre, das Boot und die Wiesen hindeutete, zeigte, daß sie seit meinem Aufenthalt und unsern gemeinsamen Gängen in trautem Einvernehmen mit diesen duftigen Fernen und dunstumwobenen Flußwindungen gelebt hatte.
Die Natur war der Mantel, in den sie ihre Gedanken hüllte. Sie verstand jetzt, was die Nachtigall in den Nächten seufzt und was die eintönig klagende Litanei des Sängers der Sümpfe bedeutet.
Abends acht Uhr wohnte ich einem Schauspiel bei, das mich tief ergriff. Es war mir bis dahin unbekannt geblieben, weil ich zu dieser Zeit immer mit Monsieur de Mortsauf beim Tricktrack verweilte. Es war im Eßzimmer, kurz bevor die Kinder zu Bett gebracht wurden.
Die Glocke tönte zweimal. Alle Leute im Hause versammelten sich.
»Sie sind unser Gast, unterwerfen Sie sich der Klosterregel!« sagte sie und nahm mich bei der Hand; sie sprach im Ton unschuldigen Scherzens, den nur wahrhaft fromme Frauen kennen.
Der Comte folgte uns. Herrschaften, Kinder, Dienstboten, alle knieten barhaupt an ihrem gewohnten Platz. Madeleine sprach die Gebete. Die liebe Kleine sagte sie mit kindlicher Stimme her, deren unschuldige Klänge sich klar in der harmonischen Stille dieses ländlichen Abends erhoben und den Worten heilige Einfalt und engelreine Anmut verliehen. Es war das ergreifendste Gebet, das ich je gehört habe; die Natur antwortete auf die Worte des Kindes im tausendfachen Summen und Singen des Abends, das wie eine leise, ferne Orgelbegleitung war. Madeleine kniete zur Rechten der Comtesse, Jacques zur Linken. Die anmutigen Schöpfchen der Kinder überragte der Flechtenkranz der Mutter, und darüber erhob sich das völlig weiße Haar und der vergilbte Schädel Monsieur de Mortsaufs; das ergab ein Bild, dessen Tönung in gewissem Sinne dem Inhalt der Gespräche entsprach. Erhabene Einheit verlieh endlich dieser andächtigen Versammlung das milde Licht der untergehenden Sonne, das sie umhüllte, so daß es poetischen und abergläubischen Seelen hätte scheinen können, als käme das Feuer des Himmels auf diese treuen Gottesanbeter nieder, die hier ohne Rangunterschied in der von der Kirche gewollten Gemeinschaft knieten. Meine Gedanken wanderten zurück bis in die Tage patriarchalischen Lebens und verliehen dieser in ihrer Einfalt so großzügigen Szene noch eine größere Weihe. Die Kinder sagten ihrem Vater gute Nacht, die Leute grüßten, die Comtesse entfernte sich, an jeder Hand ein Kind, und ich trat mit dem Comte in den Salon.
»Dort verhelfen wir Ihnen zu Ihrem Seelenheil, hier zur Hölle!« sagte der Comte und wies auf das Tricktrack.
Nach einer halben Stunde gesellte sich die
Weitere Kostenlose Bücher