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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Später bekam ich einen Kollegen. Jeder von uns hatte sechs Monate Dienst, wir konnten einander zur Not vertreten. Wir hatten ein Zimmer im Schloß, unsern Wagen und reichliche Vergütung für etwaige Reiseunkosten. Seltsame Stellung! Wir waren die geheimen Schüler des Monarchen, dessen Politik seither selbst von seinen Feinden gewürdigt worden ist; wir hörten, wie er alles beurteilte, Auswärtiges und die innern Angelegenheiten. Wir hatten keine offizielle Bedeutung und wurden doch manchmal zu Rate gezogen wie Laforêt durch Moliere; wir sahen die Bedenken des erfahrenen Alters, das sich auf unsere jugendliche Zuversicht stützte. Für unsere Zukunft war übrigens in einer Weise gesorgt, die unserm Ehrgeiz nichts zu wünschen übrigließ. Außer unserm Gehalt als Berichterstatter, das vom Budget des Staatsrats bestritten wurde, gab uns der König monatlich tausend Francs aus seiner Privatschatulle, und oft bedachte er mich mit Geschenken. Obwohl der König fühlte, daß ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren der Arbeitslast, die er mir aufbürdete, auf die Dauer nicht gewachsen wäre, blieb ich doch lange allein. Mein Kollege, der heute Pair von Frankreich ist, wurde erst im August 1817 berufen. Die Wahl war so schwierig, unser Amt erforderte so viele Eigenschaften, daß sich der König lange nicht entschließen konnte. Er erwies mir die Ehre, mich zu fragen, welcher von den jungen Leuten, zwischen denen die Wahl schwankte, mir am besten gefiele. Unter ihnen befand sich einer meiner Schulgefährten aus dem Lepitreschen Internat. Ich nannte ihn nicht; der König fragte mich: »Warum?«
    »Euer Majestät«, sagte ich, »haben Männer gleicher Zuverlässigkeit, aber von verschiedener Befähigung gewählt. Ich habe den bezeichnet, der mir am geeignetsten scheint, in der Überzeugung, daß ich stets gut mit ihm auskäme.«
    Mein Urteil deckte sich mit dem des Königs, der mir immer Dank wußte für das Opfer, das ich ihm bei dieser Gelegenheit gebracht hatte.
    »Sie sollen mein Premier sein«, sagte er.
    Er ließ meinen Kollegen nicht im unklaren darüber, daß er seine Wahl mir zu verdanken habe, und der schenkte mir für den ihm geleisteten Dienst seine Freundschaft. – Das Ansehen, das ich beim Duc de Lenoncourt genoß, wurde maßgebend für die Achtung, die mir die Welt erwies. Die Worte: ›Der König interessiert sich sehr für diesen jungen Mann‹, ›der hat Zukunft‹, ›der König schätzt ihn‹ hätten schon an und für sich das Talent ersetzt; jedenfalls verliehen sie dem freundlichen Entgegenkommen, das man jungen Leuten erweist, einen Beigeschmack von Achtung, wie sie nur der Macht entgegengebracht wird. Bei der Duchesse de Lenoncourt und bei meiner Schwester, die um diese Zeit den Marquis de Listomère, ihren Vetter, den Sohn unserer alten Verwandten auf der Ile-Saint-Louis, heiratete, lernte ich allmählich die einflußreichsten Leute des Faubourg Saint-Germain kennen.
    Henriette verschaffte mir auch bald freien Zutritt zu der Gesellschaft des »Petit Château«, indem sie die Princesse de Blamont-Chauvry bemühte, deren angeheiratete Großnichte sie war. Sie empfahl mich ihr so herzlich, daß die Princesse mich sofort einlud. Ich verkehrte viel bei ihr, wußte ihre Gunst zu erwerben, und sie wurde zwar nicht meine Gönnerin, aber eine Freundin, die mir fast mütterliche Gefühle entgegenbrachte.
    Die alte Princesse ließ es sich angelegen sein, mich mit ihrer Tochter, Madame d'Espard, mit der Duchesse de Langeais, der Vicomtesse de Beauséant und der Duchesse de Maufrigneuse bekannt zu machen: alle diese Damen führten abwechselnd das Zepter der Mode und zeigten sich mir gegenüber um so liebenswürdiger, als ich keinerlei Ansprüche erhob und immer bereit war, ihnen angenehm zu sein. Mein Bruder Charles dachte jetzt nicht mehr daran, mich zu verleugnen, er stützte sich auf mich; aber meine raschen Erfolge weckten doch einen geheimen Neid in ihm, der mir später viel Kummer bereitete. Überrascht von soviel unerwartetem Glück, fühlten mein Vater und meine Mutter sich in ihrer Eitelkeit geschmeichelt und erkannten mich endlich als ihren Sohn an. Aber da ihr Gefühl in gewissem Sinne künstlich, um nicht zu sagen erheuchelt war, rührte dieser Umschwung wenig mein verbittertes Herz. Zudem erregen egoistische Neigungen wenig Sympathie, das Herz haßt Berechnung und Gewinnsucht.
    Ich schrieb treulich meiner lieben Henriette, die mir mit ein oder zwei Briefen monatlich antwortete. So schwebte ihr

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